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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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zwanzig Jahren, und das mit dem Tanzlehrer ist ewig her. Mach mir nichts vor, Vater, ich kenne dich schon ziemlich lange, vergiss das nicht. Die Töchter der Schwarzbachin interessieren dich weniger als die Steine in Annes Garten.»
    «Stimmt, nur falls einer meiner Söhne eines dieser Dämchen heiraten wollte. Zumindest keine schlechten Partien. Aber die Verwandtschaft der schrecklichen Madam», er streifte einen Tintenrest von der Feder und legte sie umständlich auf den Halter, «wirst du uns ja ersparen. Hast du eigentlich Post aus London? Mademoiselle Lenore schreibt recht fleißig.»
    Christian überhörte die Frage nach seiner noch für einige Zeit in England lebenden Braut, eine ordentlich hanseatische Tochter aus guter Bremischer Familie.
    «Dass Hofmann tot ist, pfeifen ja die Spatzen von den Dächern. Ich habe den Kerl nicht gemocht, so wenig wie ich ihn kannte. Der war mir zu glatt. Und als seine Stieftochter uns damals bekochte, wurde einiges geredet, nämlich dass er Molly aus dem Haus getrieben hat.»
    «Möglich, davon weiß ich nichts, und Klatsch ignoriere ich, das solltest du wissen. Elsbeth selbst hat im Frühjahr die kleine Runge als ihre Vertretung empfohlen. Augusta wird darüber Genaues wissen, Elsbeth hatte sich mit der Bitte, Molly aufzunehmen, an sie gewandt. Mir war recht, was Augusta entschied, wie gewöhnlich. Um Angelegenheiten der Küche will ich mich nun wirklich nicht kümmern.»
    «Gewiss. Dafür solltest du dich diesmal um den Klatsch kümmern, es wäre sträflich, das Gerede zu ignorieren. Es wird gerade eine neue Variante verbreitet, und die halbe Stadt hört begierig zu, bis morgen wahrscheinlich schon die ganze. Darüber müssen wir sprechen.»
    «Monsieur Herrmanns? Monsieur Christian?» Valerie, das zweite Hausmädchen, stand in der Tür und knickste. «Wenn es beliebt, Mamsell Elsbeth lässt sagen, das Essen ist angerichtet, ich meine, so gut wie serviert. Madam Herrmanns und Madam Augusta sind schon im Speisezimmer.»
    «Danke, Valerie.» Der ältere Herrmanns erhob sich und blickte zu den Männern im vorderen Raum. Durch die verglaste hölzerne Trennwand und die verschlossene, aber leichte Tür verstanden sie zumindest die Hälfte von dem, was im Kontorzimmer der beiden Herrmanns gesprochen wurde, besonders, wenn Christian erregt die Stimme hob. Nun waren sie eifrig damit beschäftigt, die Federn zu putzen, Tintengläser zu verstöpseln, Streusand auf gerade beschriebene Papierbögen rieseln zu lassen, Stäubchen von ihren Röcken und Kniehosen zu schnipsen. Auch sie waren hungrig.
    «Warte, Valerie», sagte er, «könntest du Elsbeth bitten, für unsere Kontor-Herren ausnahmsweise in der Diele zu decken? Wir haben eine Familienangelegenheit zu besprechen und müssen leider unter uns bleiben. Ist es dir recht, Christian?»
    Der zögerte. «Das musst du entscheiden, Vater», sagte er dann leise, «es geht immerhin um eine angebliche Liaison, die du mit Jungfer Runge gehabt haben sollst. Du musst wissen, ob du den Damen ein solches Gespräch zumuten willst.»
    «Ich denke, das muss ich sogar. Beide, Anne und Augusta, sind weder naiv oder zimperlich, noch neigen sie zu Ohnmachten, Anne wird sowieso davon hören, wenn man es ihr nicht schon zugetragen hat, soviel ich weiß, war sie heute mit Elsbeth auf dem Hopfenmarkt. Wenn du die Sache so ernst nimmst, betrifft sie uns alle, also lass uns auch gemeinsam darüber reden.»
    «Ausgezeichnete Idee», war Christians knappe Antwort. Er war ein bisschen irritiert, bisher war es nicht die Art seines Vaters gewesen, seine Angelegenheiten anders als allein zu regeln. «Ich komme gleich nach. Durch die Straßen weht ein plötzlich scharfer Wind und wirbelt Staub und Unrat herum, ich möchte in der Küche noch rasch zumindest meine Hände waschen.»
    Die Schreiber und Lehrjungen nahmen die Nachricht, ihre Mittagsmahlzeit heute sozusagen am Katzentisch einnehmen zu müssen, gelassen hin. Ohne die aufmerksame Gegenwart des Dienstherrn zu essen war höchst angenehm, und Familienangelegenheiten zogen sich für gewöhnlich in die Länge, was auch eine längere Mittagspause für sie bedeutete. Falls der strenge Erste Schreiber heute milder Stimmung war.
    Claes Herrmanns hatte es gut verborgen, doch er war den ganzen Tag bedrückt gewesen, als lebe er unter einer dräuenden Wolke. Als er die breite Treppe von der Diele zum kleineren der Speisezimmer im ersten Stock hinaufging, fühlte er sich dennoch unvermutet leicht. Egal, welchen Rumor

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