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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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mein Heimweg geht von dort nahe beim Rödingsmarkt vorbei. Laternenträger habe ich erst bei der Trostbrücke gefunden. All das mag bekannt geworden sein, womöglich haben phantasievolle oder bösartige Menschen daraus geschlossen, ich habe zwischendurch mal eben einen Mord begangen?»
    «Ja, mal eben. Da soll auch noch etwas mit einem Taschentuch sein. Oswald sagt allerdings, er habe von einem Knopf gehört, was er lächerlich findet, Knöpfe gibt es nun wirklich zuhauf!, und von einem Degen, der nahe bei der Leiche gefunden wurde und dir gehören soll. Ein Wunder, dass er nicht angeblich direkt in der Leiche steckte. Das mit dem Degen zeigt schon, wie lächerlich das Ganze ist, ich habe gleich gesagt, dass du deinen schon lange nicht mehr getragen hast.»
    «Und er liegt in der Truhe in der Ankleidekammer», ergänzte Anne. Es war das erste Mal, dass sie während der Mahlzeit gesprochen hatte. Ihr Schweigen war niemand aufgefallen, nicht einmal Augusta. Vielleicht, weil sie zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt war.
    «Jedenfalls müssen wir etwas unternehmen, Vater, wir können so etwas nicht zulassen. Was ist denn, Valerie, wir haben doch gesagt, dass wir uns heute selbst bedienen.»
    Valerie errötete tief und knickste noch einmal. «Ich weiß, Monsieur Christian, aber Mamsell Elsbeth hat gesagt, es sei sicher wichtig und sie wäre selbst gekommen, aber sie sagt, dann fällt das verflixte Zitronen-Mandel-Soufflé wieder zusammen, obwohl sie es in kleinen Portionen macht, und …»
    «Ja, Valerie», sagte Augusta sanft, «Soufflés sind gern verflixt. Was lässt Elsbeth nun ausrichten?»
    «Natürlich, Madam Augusta, verzeiht.» Valerie knickste wieder. «Da ist ein Bote aus dem Hafen, er sagt, Monsieur Christian wird erwartet. Auf der Brigg, die heute Morgen von Bristol eingelaufen ist, die Mary of Clifton , glaub ich, vielleicht auch …»
    «Meine Güte!» Christian sprang, wegen der Damen einen Fluch unterdrückend, auf. «Pardon, aber das habe ich über diesem Unsinn ganz vergessen, dabei ist es sehr wichtig. Wir sprechen später noch einmal darüber, Vater, nicht wahr? Du hast hier inzwischen die beiden besten Ratgeberinnen, die ich mir denken kann. Ich bin jedenfalls zu jeder Gegenwehr bereit.» Schon an der Tür zögerte er. «Oder möchtest du lieber auf die Mary , ich meine, es geht um einen erklecklichen Handel.»
    «Aber nein. Du hast das Geschäft eingefädelt, als du im Frühjahr dort warst, es ist also deins. Denkst du, ich überlasse dir hier Börsentermine und zweifele an deinem Kaufmannssinn bei einer englischen Schiffsladung?»
    An dem Soufflé erfreuten sich wirklich heute nur die «Kontorherren», wie der Hausherr seine Schreiber und Handelslehrlinge gerne nannte. Augusta entschuldigte sich gleich nach Christians Davonhasten, sie sei heute ein wenig müde und wolle sich zurückziehen. Sie hatte ein gutes Gespür dafür, wenn eine dritte Person als Störung oder Hemmnis wirkt.
    Valerie räumte Geschirr und Besteck ab. Es war viel von dem Essen übrig geblieben. Die reichen Leute, dachte sie, sind einfach zu verwöhnt. Nach der mit Ingwer und Muskat gewürzten Rindsbouillon mit gerösteten Semmelscheiben hatte es gekochten Dorsch mit einer Soße aus weißem Wein, Eidotter und Muskatblumen und einer zweiten aus zerlassener Butter und Senf gegeben. Dazu gepfefferte Linsen und gesalzenes Brot. Ein einfaches, durch Elsbeths weithin gerühmte Kochkunst dennoch höchst delikates Essen, sie und ihre Helferinnen hatten heute genug zu tun, um das Diner für die morgen Abend erwarteten Gäste vorzubereiten. Das Soufflé war letztlich die Probe für eines der Desserts, die sie dafür geplant hatte. Valerie brachte es mit einer weiteren Karaffe Zitronenwasser; dass das Soufflé tatsächlich ein bisschen zusammengefallen war, nahm weder Anne noch Claes wahr.
    Dann schloss sich endlich die Tür, und sie waren allein.
    «Vertraust du mir?» Claes Herrmanns sah seine Frau abwartend an.
    «Zweifelst du daran?»
    «Ich weiß nicht. Ich kann heute nicht in deinem Gesicht lesen. Du musst mir vertrauen, Anne. Wenn du es nicht tust, wer könnte es dann?»
    «Oh, da fallen mir gleich einige ein. Deine Söhne und Augusta natürlich, Bocholt ganz sicher. Wohl auch van Witten, Agnes Matthew – ach, Claes, verzeih. Ich rede nur so dahin. Natürlich vertraue ich dir. Ich bin heute so, weil ich umgekehrt fürchten muss, dass du mir nicht vertraust.»
    Das war nur die halbe Wahrheit, sie wünschte brennend, es

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