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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Sohn zuerst seine Mutter wissen lassen, der absonderliche Apothekeroheim schicke ihn zum Weddemeister, dazu in großer Eile, etwas Schreckliches müsse geschehen sein, wer rufe sonst schon nach dem Weddemeister? Und der Alte habe Blut im Gesicht. Ganz viel Blut. Sicher sei im Keller was explodiert und der Apotheker, der hochnäsige Leubold – na, das wisse er auch nicht.
    Die Kunde von der Explosion im Keller beim Opernhof einerseits, dem furchtbar zugerichteten Apotheker andererseits hatte blitzschnell die Runde gemacht. Wer immer in den umliegenden Straßen und Höfen die Arbeit liegenlassen konnte, kam angesaust, bald tauchten auch fünf Männer in weißen Kitteln mit der Feuerspritze auf, Leitern und Einrisshaken auf dem Wagen festgezurrt. Da weit und breit kein Feuer zu sehen oder zu riechen war, reihten sie sich erst mal in die Menge ein. Es dauerte seine Zeit, bis Wagner kam, den Luxus von Pferd und noch so kleinem Wagen konnte er sich nicht leisten.
    Die Apothekentür war verschlossen. Inzwischen stand die Menge im Durchgang zum Opernhof und damit zur Hintertür der Apotheke wie eine Mauer, Wagner drängte sich hindurch, Weddeknecht Grabbe auf den Fersen, bis ihm plötzlich einige Soldaten von der Gänsemarktwache mit energischem Gebrüll und drohenden Gebärden mit ihren bajonettbestückten Gewehren eine Gasse schufen. Niemand hatte sie gerufen, ihr Leutnant sah einfach gern nach dem Rechten, er hielt es mit der uralten Weisheit, nach der das Volk als solches stets unberechenbar und gefährlich war – wo sich mehr als drei Köpfe versammelten, hieß es Obacht geben.
    Nachträglich empfand Wagner es als Wunder, dass in der Zeit zwischen dem Entdecken des Toten und seinem und Grabbes Eintreffen keiner der Nachbarn auf die Idee gekommen war, Momme Driftings Sahl zu betreten. Das war aber nur das Ergebnis eines Irrtums. Alle vermuteten das schreckliche Geschehen – was immer es tatsächlich gewesen sein mochte – in der Apotheke. Erst als Wagner mit dem Oheim des Apothekers wieder herauskam, zwei der Soldaten als Wache vor die Tür beorderte und dem alten Reuther die Hühnerleiterstiege zu den Sählen hinauffolgte, ging ein enttäuschtes Raunen durch die Menge. Zum einen, weil es dort oben keine Explosion gegeben haben konnte, dann stünde das Haus längst in Flammen, zum anderen, weil die Erkenntnis, eine fabelhafte Gelegenheit versäumt zu haben, immer eine doppelte Enttäuschung bedeutet. Leider postierten sich umgehend auch am Fuß der Treppe grimmige Soldaten.
    Was Wagner in der kalten kleinen Stube Momme Driftings sah, gefiel ihm überhaupt nicht. Niemand konnte behaupten, irgendein Toter hätte Wagner je gefallen, aber wenn sich ein klares Bild bot, wusste er wenigstens, woran er war, und musste nicht lange herumstöbern und im Trüben stochern. Dann konnte er sich auch weniger irren. Ein Messer in der Brust, ein eingeschlagener Schädel, auch ein Erwürgter war eindeutig zu erkennen. Der Körper dieses Toten, eines bis dato gesunden jungen Mannes von kräftiger Statur, wies keinerlei Verletzungen auf. Dass er friedlich in seinem Bett gestorben war, weil sein Herz einfach aufgehört hatte zu schlagen – Wagner schüttelte stumm den Kopf.
    «Mausetot», sagte Friedrich nun zum dritten Mal, «wie ich schon sagte, mausetot. Ohne jeden Zweifel, Weddemeister, da mussten wir keinen Physikus mehr rufen. Wäre noch ein Fünkchen Leben in ihm gewesen, hätte ich ihm gern von unserem neuen Theriak eingeflößt, aber leider, da war nichts mehr zu machen.»
    Seine Miene zeigte tiefes Bedauern, vor allem, weil er die Gelegenheit versäumt hatte, sein neues Allheilmittel auszuprobieren. Bei einem, der fast tot war, konnte man keinen Schaden mehr anrichten, entweder war er anschließend ganz tot, was er sowieso gewesen wäre, oder er gesundete auf wundersame Weise mit Hilfe des sich dann als wahrhaftig wundersam erweisenden Mittels. Mit dem zum Leben Wiedererweckten als Zeugen für die gute Wirkung könnte man es fürderhin für einen unverschämt ansehnlichen Preis verkaufen. Er würde sich noch lange vorwerfen, dass er nicht gleich nach Momme gesehen hatte, als der nicht wie sonst schon in aller Frühe in Lager oder Offizin herumwerkelte. Vielleicht wäre da noch genug Leben in ihm gewesen, um es mit dem Theriak zu versuchen.
    Aber das behielt er für sich, das brachte den Weddemeister nur auf falsche Gedanken. Schließlich wusste jeder, dass die Grenze zwischen Allheilmitteln und Gegengiften einerseits und

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