Die Nacht des Schierlings
Hofmanns Tod», hatte Anne gerade unvermittelt in die Stille gesagt. Sie waren allein beim Frühstück, Augusta war ausnahmsweise zum Morgengottesdienst gegangen, Christian schon auf dem Weg zum neuen Speicher, den sie auf der Brookinsel bauen ließen. «Es fällt mir schwer zu verstehen, warum du so darauf beharrst.»
«Tue ich das? Beharren?» Er fand selbst, er höre sich fremd an, gestelzt.
«Ja, Claes, das tust du. Allerdings kann ich nur behaupten: So scheint es mir. Ich sehe und spüre, wie du dich mit etwas quälst. Ich weiß, wie unruhig du schläfst, ich habe gestern gesehen, wie du die Laudanumtinktur in den Händen hieltst. Verzeih, wenn ich das so sage, ich will dich nicht bloßstellen, aber ich sorge mich.»
«Doch nicht wegen des Laudanums? Worum geht es wirklich?»
Sie schob ihren Stuhl zurück, langsam, als bereite es Mühe, ging zum Buffet, rückte eine Zuckerschale neben die Konfitüre, lehnte sich endlich gegen das Fensterbrett. Das Licht war an diesem Morgen nur matt, es hatte geregnet, noch war es der Sonne nicht gelungen, sich durch die Wolken zu schieben, dennoch lag Annes Gesicht nun im Schatten. Er konnte seinen Ausdruck nur ungefähr erkennen.
«Es ist von geringer Bedeutung und nicht neu», sagte sie, «und doch steckt es in meinem Kopf wie ein Splitter, schlimmer noch, es steckt in meiner Seele. Warum hast du mir am Dienstagmorgen nicht von deiner Begegnung mit Hofmann erzählt? Warum hast du den Rock hinter die Truhe rutschen lassen? Warum musste Wagner erst kommen, der Weddemeister, und warum musste ich auf dem Markt von der niederträchtigsten Klatschbase der Stadt erfahren, mein Mann werde des Totschlags verdächtigt? Und damit nicht genug: des Totschlags nach einer Auseinandersetzung mit dem Stiefvater seiner heimlichen Liebschaft.»
Claes’ Gesicht war zur bleichen Maske erstarrt, seine auf dem Tisch liegenden Hände hatten sich zu Fäusten geballt, die Augen blickten an ihr vorbei ins Licht des Fensters. Seine Lippen bewegten sich, aber er schwieg.
«Ich kann machen, was ich will, Claes», fuhr sie behutsamer fort, «ich nehme es dir übel. Es verletzt mich, und dass es das tut, nehme ich mir übel, was mich wiederum auf dich wütend macht. Ach, es ist alles so verdreht. Wirklich schlimm aber ist, zu spüren, wie du dich vor mir verschlossen hast. Deshalb fürchte ich, da ist noch etwas», sie stockte und wischte ungehalten eine über die Wange rinnende Träne weg, «noch etwas passiert.»
«Waren wir da nicht schon einmal? Freitag, bevor Wagner kam? Da ging es auch um Vertrauen.» Nun erhob auch er sich und begann im kleinen Salon, in dem sie ihr Frühstück einnahmen, auf und ab zu gehen. Dann blieb er stehen und sah sie an. «Was in jener Nacht passiert ist, weißt du. Dass ich nie eine Affäre mit Mamsell Runge noch mit irgendeiner anderen Frau hatte, seit ich dich kenne, kannst du mir nur glauben. Es gibt keine Beweise für etwas, das man nicht getan hat. Ist es wirklich schwer zu verstehen? Ich habe mich geschämt, ich schäme mich immer noch, manchmal trifft es mich wie ein Hieb. Du sagst, ich bin nicht schuld. Wahrscheinlich stimmt das, trotzdem bin ich sicher, er würde noch leben, hätte ich nicht plötzlich Angst bekommen. Das ist verachtenswert, ich habe mich tatsächlich vor einem lallenden, schwankenden Mann gefürchtet. Nicht nur geekelt. Außerdem hätte ich wissen müssen, dass ich mich um ihn kümmern muss. Er war keiner dieser üblichen Trunkenbolde, er war manierlich, sogar gut gekleidet, das habe ich sehr wohl bemerkt. Ich weiß es nicht genau – hätte ich geahnt, wie wichtig es wird, hätte ich mir Notizen gemacht –, aber ich denke, ich habe den Rock dort unten vergessen oder ‹verschwinden lassen›, wie du es nennst, weil ich einfach nicht mehr daran erinnert werden wollte.»
«Wie ein Kind, das sich die Augen zuhält und denkt, man sieht es nicht?»
«So ähnlich. Das kannst du mir in der Tat vorhalten. Meine Gott, Anne, es war fast Mitternacht, als ich heimkam, ich war müde, immer noch erschrocken und hatte Rotwein getrunken. Ich bin nicht perfekt. Ich habe falsch gedacht, oder gar nicht gedacht – was weiß ich. Sicher habe ich auch daran gedacht», fuhr er nur zögernd fort, aber er wollte nun, dass ihre Fragen ein für alle Mal ein Ende nahmen, «dass es nicht gut ist, wenn sich die Sache in der Stadt herumspricht. Es würde doch gleich heißen: Herrmanns hat zu viel Rotspon getrunken und dann seine Christenpflicht versäumt, einem
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