Die Nacht des Schierlings
ein Ächzen klang nach etwas schwer zu Tragendem, Wasser plätscherte – Kaffeehausgeräusche vor dem großen Ansturm. Er blickte sich um und spürte seiner Befindlichkeit nach. Um diese Zeit war er nur selten hier gewesen, es fühlte sich fremd an, fast wie auf Reisen.
Das war ihm angenehm. Weil es ein seltenes Gefühl war und weil es ihm Muße gab, auch dem nachzusinnen, was Rosina bei ihrem überraschenden Besuch mit Magnus gestern Abend gesagt hatte. Zwei Männer seien tot, die Molly Runge «wirklich sehr gemocht» hatten. Obwohl das auf ihn in dieser Weise nicht zutreffe, irre möglicherweise jemand durch die nächtlichen Straßen, der es dennoch glaube und gefährlich sei.
Anne hatte gleich verstanden, was Rosina meinte, Frauen waren da eben empfindlicher. Ihm war es zu absurd erschienen, jemand könne es auf sein Leben abgesehen haben, nur weil ein paar Klatschbasen Lügen verbreiteten. Dennoch hatte er Anne versprochen – vor Zeugen, wie sie mit ängstlichem Lachen betonte –, wenn er in der Dunkelheit noch ausgehe, was mit den beständig kürzer werdenden Tagen zwangsläufig häufiger geschah, stets Brooks mitzunehmen, den Kutscher. Er kenne niemand, der verlässlicher sei, wenn es darauf ankomme, auch nicht schlagkräftiger.
Rosina und Magnus waren noch ein wenig geblieben, Augusta hatte sich zu ihnen gesellt, und für den Abend waren alle Grillen verflogen gewesen. Erst später, kurz vor dem Einschlafen, war noch ein neuer Gedanke durch seinen schon trägen Kopf gegeistert. Nämlich, ob nicht vielmehr die kleine Jungfer Runge auf ihre Sicherheit Acht geben müsse, auf ihr Leben. Mit dem beruhigenden Gedanken, eine so manierliche Jungfer gehe ohnedies nicht allein im Dunkeln aus, war er eingeschlafen. Nun nahm er sich vor, falls Magnus später hier auftauchte, was nicht sehr wahrscheinlich, aber wohl möglich war, wollte er ihn bitten, Rosina das zu bedenken zu geben.
Noch war Börsenzeit, erst einige Stühle waren besetzt, am Billardtisch spielte ein Mann mit sich selbst. Claes hatte ihn nie zuvor gesehen, er war wohl tatsächlich ein wohlhabender Reisender. An einem der vorderen Fenstertische saßen zwei Damen bei einer Tasse Schokolade, der älteren lag ein braun-weiß geschecktes wolliges Hündchen zu Füßen. Sie hatten Claes Herrmanns bei seinem Eintreten gemustert, nur so flüchtig, wie es schicklich war, und ihre Köpfe wieder zusammengesteckt. Die jüngere der beiden, eine wirklich hübsche, vielleicht dreißigjährige Brünette im maronenfarbenen Seidengewand, auf dem kunstvoll aufgetürmten Haar ein verwegen mit Federn und Perlen garniertes gelbes Hütchen, kam ihm bekannt vor. Auf seinen Gruß hatte sie nur rasch errötend den Kopf gesenkt, was er nicht verstand, aber es gab keinen Anlass, darüber nachzudenken.
Eigentlich wollte er während der nächsten Wochen überhaupt keine Dame auch nur flüchtig grüßen, deren Eltern und Ehemänner nicht mit ihm befreundet waren. Egal, wenn er damit unhöflich erschien. Er hatte sich trotzdem dabei ertappt, wie ihm die Unterstellung, er habe gleich mit zwei jungen Frauen eine Liebschaft, auch schmeichelte. Leider waren die Umstände nicht so, dass er es genießen konnte. Und was ohne den Mordverdacht für einen Mann im fortgeschrittenen Alter Augenzwinkern und Schulterklopfen zur Folge gehabt hätte, bedeutete für Jungfer Runge und Rosina eine Beleidigung. Mehr noch, eine Beschädigung ihrer Reputation. Rosina war daran gewöhnt, ihr mochte das halbwegs einerlei sein, vielleicht sogar Magnus Vinstedt, diesem ungewöhnlich unabhängigen Geist. Aber Molly Runge? Nun, es würde bald vorbei sein.
«Na, habt Ihr Euch wieder aus Eurer sicheren Burg gewagt?»
Die respektlose Bemerkung ließ Claes Herrmanns ärgerlich aufblicken, doch sein Gesicht verzog sich gleich zu einem Schmunzeln.
«Baumeister Sonnin, schön, Euch zu sehen. Darf ich Euch zu einem Kaffee einladen? Oder zieht Ihr einen Port vor?» Er schob den zweiten Stuhl zurecht, und der Baumeister setzte sich, allerdings nur auf die vordere Kante.
«Im Prinzip jederzeit, wie Ihr wisst. Ich lasse mich immer gern einladen, meine Kunst mag edel sein, aber sie will mich einfach nicht reich machen. Doch leider, heute bin ich in Eile, ich suche hier nur nach Bauhofinspektor Kopp. Vergeblich, wie ich sehe. Es geht mal wieder um das Rathaus. Ihr solltet Euch gut überlegen, ob es erstrebenswert ist, zu diesem Rat zu gehören, der in einem so maroden alten Gemäuer residiert.»
Claes nickte, seit
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