Die Nacht des Schierlings
Ich habe Dich für morgen avisiert, wenn möglich am Vormittag .
Im Übrigen freue sie sich jederzeit über einen Besuch, der Hamburger Berg sei jetzt im späten Oktober immer noch wunderschön, auch wenn die Linden fast kahl seien. Der Himmel sei nirgends so weit und von so zauberischen Farbenspielen wie vor ihrem Haus auf dem Hochufer über der Elbe.
Lies lasse grüßen, bis auf die Gicht fühle sie sich recht wohl. Zum Glück sei sie brummig wie von jeher, ein wirklich gutes Zeichen.
Rosina war gerührt. Und verwirrt. Wenn Matti extra schrieb, hatte es etwas zu bedeuten. Erst recht, wenn sie sie bat, in der Apotheke auszuhelfen, in der gerade ein Mann unter mehr als seltsamen Umständen zu Tode gekommen war. Immerhin hatte sie darauf hingewiesen, Magnus möge seine Frau für den Heimweg von dort abholen. Oder war das nur als nette Floskel gemeint? Rosinas Herz klopfte rascher. Was andere unter diesen Umständen als unmögliches Ansinnen abgelehnt hätten, empfand sie als großartiges Angebot und Arrangement. Denn dass Matti da etwas arrangiert hatte, bezweifelte sie keine Sekunde. Es klang zwar nach einer Freundlichkeit, die sie dem in Not geratenen Apotheker erweisen wollte. Aber sie wusste sicher, dass Rosina sich wegen Muto grämte und deshalb sinnvolle, Konzentration und Gedanken anderweitig beschäftigende Tätigkeit brauchte. Und allzu gerne dort herumschnüffelte, wo es Rätsel zu lösen galt.
«Das kommt überhaupt nicht in Frage! Auf keinen Fall!» Magnus, gewöhnlich die Ruhe selbst und bisher auch bei etlichen nicht unbedingt damenhaften Unternehmungen Rosinas gelassen geblieben, saß plötzlich kerzengrade auf seinem Stuhl. «Was denkt Madam Matti sich dabei?», rief er mit zornig zusammengezogenen Brauen und warf ihren Brief auf den Tisch, er landete auf Rosinas Teller, zum Glück war die Suppe noch nicht aufgetragen.
«Sorgst du dich um meinen guten Ruf?» Rosina lächelte standhaft, sie hätte lieber gelacht. Aber auch eine Rosina Vinstedt, geborene Hardenstein, lernte irgendwann die Wahl der adäquaten Taktik.
«Papperlapapp», sagte er und klang schon wieder milder. «Da müsste schon anderes passieren, das weißt du. Ich muss dir doch nicht erklären, dass ich um dich besorgt bin.»
«Deine geliebte Frau in einem Mordhaus», sagte sie und nickte sehr ernsthaft.
«Genau. Wir kennen den Apotheker nur flüchtig, es soll dort auch einen ziemlich verrückten Oheim geben, der sich wiederum von irgendeinem komischen Adeligen zur Hand gehen lässt. Keiner weiß, was die da in ihren Destilliergeräten und Tiegeln brauen. Aber auch so enthält dort jede zweite Schachtel und Dose, jede dritte Flasche, Schublade oder Sirupkanne irgendetwas garantiert Giftiges. So ist das in Apotheken.»
«Ja, Lieber, aber giftig ist nicht gleich giftig. Das meiste ist in der richtigen Mischung gute Medizin. Die Dosis macht’s. Manches ist auch absolut unwirksam, da versetzt nur der Glaube Berge, das weiß inzwischen doch jeder, oder nur Zuckerwerk mit ein paar Gewürzen. Wenn Matti mich bittet, kann es nicht so ein stinkendes Loch voller Krimskrams wie die vermeintlichen Apotheken an den Vorsetzen oder auf dem Brook sein. Im Übrigen bin ich nicht zum Essen geladen, ich soll nur ein bisschen aushelfen – Mattis gute Kräuter sortieren, vielleicht die alten vom letzten Jahr wegwerfen, so etwas. Ich denke», sagte sie und blickte versonnen zum Fenster hinaus, «ich könnte dort einiges lernen.»
Magnus schüttelte den Kopf. «NEIN. Ich käme ja um vor Sorge.»
Rosina lächelte ihr berüchtigtes Ozelotlächeln.
O bwohl sein Lieblingstisch an einem der Fenster frei war, entschied Claes Herrmanns sich heute für einen anderen. Er tat das, ohne nachzudenken, nahm eine holländische und eine englische Zeitung vom Tresen und nickte dem wie immer überaus beflissenen Wirt zu, was zugleich die übliche Bestellung einer Tasse mit Kardamom gewürzten Kaffees bedeutete. So setzte er sich an den Tisch beim Durchgang vom vorderen zum hinteren Raum, in dem in Jensens Kaffeehaus auch der Billardtisch stand, in einer ruhigen Ecke zudem ein Schreibpult mit Feder, Tinte und Papierbögen für Gäste, die eilige Post zu erledigen hatten oder rasch eine Nachricht schreiben wollten. Verlässliche Boten fanden sich so nah bei Börse und Rathaus immer vor der Tür. Es war still für ein Kaffeehaus, es duftete nach frischgerösteten Kaffeebohnen, aus der Küche kamen leise Stimmen, Geräusche des Hantierens mit Gläsern und Geschirr,
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