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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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langem plädierte Baumeister Sonnin dafür, das Rathaus abzureißen und ein neues zu bauen. Das war dem Rat zu teuer, in den letzten Jahren waren die Fassade und die wichtigsten Deckengewölbe gründlich instand gesetzt worden, was auch teuer gewesen war. Wie jede Reparatur an dem ehrwürdigen Gebäude.
    Das Rathaus, insbesondere der Rat, war heute kein Thema, das Claes behagte, aber Sonnin, immer schnell im Kopf und wie häufig auch sprunghaft, war schon beim nächsten, allerdings kaum angenehmeren Thema.
    «Euch um diese ungewöhnliche Stunde hier zu treffen bedeutet hoffentlich nicht, dass man Euch immer noch diverser dunkler Untaten verdächtigt und deshalb bei der Börse und unter ehrbaren Kaufleuten nicht sehen will? Ein Scherz, lieber Freund, nur ein Scherz. Das unsinnige Geschwätz um Euch und diese Konditormamsell – nebenbei, ein sehr manierliches Mädchen, ich kaufe dort gern, wenn ich es mir gerade erlauben kann – wirklich nett und reinlich und eine große Konfektbäckerin. Hm, was wollte ich sagen? Ach ja, das unsinnige Geschwätz. Ihr müsst verlässliche Feinde haben.»
    «Es scheint so. Aber nun hockt dieser arme Junge von den Becker’schen Komödianten im Kerker, da wird sich die Aufregung um mich schnell legen. Ob er nun schuldig ist oder nicht.»
    «Tja, dieser junge Akrobat. Das ist eine Tragödie für sich. Ein so enger Freund unserer reizenden Madam Vinstedt. Nun, man wird sehen, wer weiß, was noch passiert, und bis das Gericht zusammentritt, vergeht auch Zeit. Hoffentlich lassen sie ihn dort nicht verschimmeln. Übler Kerker, wirklich. Ich würde gerne einen besseren bauen. Wenn ich mal wieder eine Stunde Zeit habe, sollte ich einen Aufriss machen und vorlegen. Aber – nun ja. Und warum seid Ihr jetzt nicht an der Börse?»
    Herrmanns lachte leise. «Ihr seid hartnäckig, Sonnin. Mein Sohn ist heute dran, das ist genug, und ich genieße die ungewohnte Freiheit. Doch, wirklich», versicherte er auf Sonnins verhalten zweifelnden Blick, «hättet Ihr mir das vor zwei Jahren prophezeit, hätte ich gelacht, aber nun – finde ich es sehr angenehm. Christian ist tüchtig, ich fürchte in manchem inzwischen tüchtiger als ich, er denkt zeitgemäßer, ich gestehe es zu. Oder verwegener, die Usancen ändern sich, je weiter die Welt auch für uns Hamburger Kaufleute wird. Tatsächlich sitze ich hier nur müßig herum. Ein großer Luxus.»
    «Das klingt in der Tat beneidenswert. Und die liebe Madam Herrmanns? Ist sie wohlauf? Und Eure Tante, die verehrungswürdige Madam Augusta?»
    «Danke, es geht allen in meinem Haus sehr gut. Die ein wenig – gedämpfte Stimmung der vergangenen Tage hat sich aufgelöst. Alles ist wieder wie immer, alles geht seinen Gang.»
    Als der Baumeister das Kaffeehaus verlassen hatte, beugte Herrmanns sich wieder über die Nachrichten aus London, aber sein Kopf verweigerte sich dem Sinn der Zeilen. Er hatte Sonnin nicht ganz die Wahrheit gesagt, natürlich nicht, niemand mit guter Erziehung sagte im Kaffeehaus die ganze Wahrheit, wenn es um so Privates wie persönliche Befindlichkeiten ging.
    Augusta bemühte sich um Heiterkeit, aber sie war zu klug, um so zu tun, als mache ihr das Gerede gar nichts aus. Anne suchte ständig seine Nähe, als müsse sie ihm beweisen, dass nichts in der Lage war, sich zwischen sie zu drängen. Ihm oder sich selbst beweisen? Gleichwohl war die innige Vertrautheit noch nicht wieder ganz zurückgekehrt. Nur Christian schien kaum davon berührt, dass sein Vater des Mordes verdächtigt worden war. Von etlichen sicher noch wurde.
    «Ich halte das schlicht für Unsinn», hatte er entschieden erklärt, «eine aus Neid und Sensationslust geborene Unterstellung, und ich weigere mich, mit irgendjemand außerhalb dieses Hauses darüber zu reden. Sollen sie sich doch das Maul zerreißen, wenn sie nichts Wichtigeres zu tun haben. Jeder hätte so gehandelt, einen sabbernden Trunkenbold stößt man eben zurück und bringt möglichst schnell Distanz zwischen sich und ihn. Außerdem, nach allem, was ich gehört habe, ist es um Bruno Hofmann nicht über die Maßen schade, also was soll die Aufregung?»
    Das entsprach zwar nur bedingt den Wertvorstellungen Claes Herrmanns’, auch irritierte ihn die Kälte, mit der sein Sohn über den gewaltvollen Tod eines Mannes hinwegging, doch zugleich war er Christian dankbar. Ganz ähnlich hatte Werner Bocholt reagiert, der alte Freund seit Kindertagen, der sich allerdings schon immer durch einen eklatanten Mangel an

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