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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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einmal und noch einmal, jedes Mal ein wenig leiser, dafür drangen Qualm und hustende und ächzende Stimmen aus der Kellertür, als der Apotheker sie aufriss und mit einem äußerst unflätigen Fluch die Treppe hinabsauste, nach nur einer Schrecksekunde von seinem Gesellen gefolgt.
    «Ihr bleibt hier!», hatte der Molly noch über die Schulter zugerufen. «Hier oben seid Ihr sicher.»
    Was Molly sehr langweilig fand, obwohl sie nie zu den Abenteuerlustigen gehört hatte. Es hatte schon mindestens zwei Minuten nicht mehr geknallt oder gescheppert, durch die Kellertür kam kein Qualm mehr – im Übrigen wollte sie schon lange wissen, wie das Laboratorium aussah und ob der darüber kursierende Klatsch einen wahren Kern hatte.
    Rasch verstaute sie ihren Korb hinter dem Verkaufstisch. Morsellen und Konfekt hatten zu viel Arbeit und kostbare Zutaten gekostet, um sie leichtfertig diebischen Fingern zu überlassen. Dass sich nach diesem Lärm gleich die Offizin mit Neugierigen füllen würde, war so sicher wie das Amen in der Kirche.
    Vom Keller, tatsächlich mehr ein Souterrain, gingen zur Vorderseite des Hauses zwei schmale, jetzt fest verschlossene Fenster nahe unter der Decke des niedrigen Raumes zum Opernhofdurchgang. Molly entdeckte keine weitere Treppe oder Tür, wobei die sie nur als möglicher zweiter Fluchtweg interessierte. Sie hatte mit einem schrecklichen Anblick gerechnet, insbesondere schwerverletzten Männern, was sie nun sah, war zweifellos ein Desaster, allerdings wirkte es eher komisch.
    In der Mitte des Raumes stand ein kleiner, trotz seines weiten Kittels und der Lederschürze hager wirkender Mann; das dünne weiße Haar war knapp kinnlang geschnitten und stand ihm, nun in Streifen versengt und in den Spitzen gelblich verfärbt, wirr um den Kopf. Sie hatte ihn nicht sehr oft gesehen, erst recht nicht so zugerichtet, aber sie erkannte Monsieur Reuther, den Oheim des Apothekers. Seine schmutzigen Augengläser in ihrem Drahtgestell hingen schräg auf seiner spitzen Nase.
    Was immer die Flüssigkeit in dem offenbar über dem Feuer explodierten Glaskolben enthalten hatte, es konnte keine ätzende Säure oder ähnlich lebensgefährliche Flüssigkeit gewesen sein. Ein großer Teil hatte sich über die Kleider des Alten ergossen, es stank erbärmlich, fraß aber keine Löcher in Stoff und Leder. Reuther musste gemerkt haben, dass das Experiment – was sonst konnte es gewesen sein? – übel ausgehen würde, und war rechtzeitig aufgesprungen und zurückgetreten. Ein Hocker lag umgekippt vor dem Arbeitstisch mit dem kleineren Ofen, und abgesehen von einem blutigen Kratzer auf dem rechten Handrücken, waren weder sein Gesicht noch seine Hände verletzt, was sie zweifellos gewesen wären, wenn Glasbehältnis und Flüssigkeit direkt vor seiner Nase auseinandergeflogen wären.
    All das sah sie in einem Augenblick, dann sah sie Momme, der gerade versuchte, auch das zweite Fenster zu öffnen. Gerrit Leubold stand, die Handflächen erschreckt an die Schläfen gedrückt, vor seinem Onkel, im Gesicht eine Mischung aus Sorge, Zorn und etwas, das Molly nicht zuordnen konnte.
    «Verdammt», rief er, «Sie hatten versprochen, dieses Teufelszeug nicht mehr zu kochen. Sie werden sich noch umbringen. Uns alle. Das ist es nicht wert, nicht alles Gold der Welt, das ist doch …»
    Er hörte Mollys Röcke rascheln, vielleicht fühlte er auch nur ihre Gegenwart im Rücken, fuhr herum und starrte sie mit dunklen Augen an.
    «Geht wieder hinauf, Jungfer Runge!» Seine Stimme hatte alle Verbindlichkeit verloren. «Meinem Oheim ist bei der Zubereitung einer komplizierten Tinktur ein Patzer unterlaufen. Ohne Bedeutung. Niemand ist zu Schaden gekommen, es sind nur ein paar Scherben und Pfützen. Bitte», wiederholte er nachdrücklich, als sie bewegungslos auf der Treppe stand und auf das Geschehen hinunterstarrte, «ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr dort oben ein wenig Acht gäbet.» Nun klang er wieder, wie sie es gewohnt war. «An Mommes und meiner statt, nur solange wir hier aufräumen. Falls Ihr die Zeit erübrigen könnt. Es werden Leute in der Offizin sein, manche mögen der Versuchung nicht widerstehen, sich zu bedienen und das Bezahlen zu vergessen. Wenn ich Euch also bitten darf!»
    Er trat zum Fuß der Treppe, doch Molly eilte schon die wenigen Stufen hinauf. «Sicher», rief sie, «natürlich. Ich passe gern auf. Habt keine Sorge.»
    Dann stand sie wieder in der Offizin und schloss die Tür energisch hinter sich, nur um

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