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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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«Sabbelbuden» genannten Kaffeehäuser zu verwechseln schienen, ertrug er mit stets verbindlich bleibendem Lächeln. Er verstand sich perfekt darauf, ein teilnehmendes Gesicht zu machen und zugleich völlig bei seinen eigenen Gedanken zu bleiben.
    Molly hatte gehofft, auch heute würden zumindest ein oder zwei dieser dem Müßiggang huldigenden Kunden in der Offizin sitzen, beobachten, was sie dem Apotheker brachte, und hören, wie er ihre Morsellen und anderen Konfekte pries, zumindest mit wohlwollendem Lob bedachte, nebenbei vielleicht auch ihre Torten und Konfitüren erwähnte. Denn das war genau die Kundschaft, von der sie sich mehr für die Runge-Hofmann’schen Waren wünschte. Sie hatte einen Teil des mitgebrachten Konfektes extra auf einem weißen Steinguttellerchen hübsch angerichtet, sodass es noch appetitlicher und verführerischer aussah.
    Aber die Stühle waren leer, und auch vor dem Verkaufstisch mit der von einem messingnen heiligen Michael gekrönten Waage und der mit allerlei Pastillen in hübschen Schächtelchen bestückten Vitrine stand niemand. Natürlich nicht, wer immer hier gewesen sein mochte, war hinausgerannt, um dem Akrobaten und der Tänzerin zuzusehen. Sie war zu spät gekommen.
    «Jungfer Runge.» Der Apotheker war offenbar nicht auf den Platz gegangen. Er war durch die Tür eingetreten, hinter der eine Treppe zum Souterrain mit einem Teil des Magazins und dem Laboratorium führte. Er brachte den gleichen strengen Geruch herauf, den Molly zuvor an seinem Gesellen wahrgenommen hatte, und rieb die gelblich verfärbten Fingerspitzen der rechten Hand gegeneinander. Auch auf seinem dunkelblauen Tuchrock, der grauen Weste und sogar an der ausnahmsweise etwas nachlässig gebundenen Halsbinde entdeckte Molly Spritzer oder puderige Reste von etwas Grünlichgelbem, am linken Handgelenk zeugte eine frische, zum Glück nur oberflächliche Schramme von einem Missgeschick. Auch da, wo er sich mit der Hand das Haar hinters Ohr zurückgestrichen hatte, schimmerte ein wenig der Farbe und reizte Mollys Neugier.
    «Da seid Ihr ja», fuhr er fort. «Hat Momme Euch gut empfangen? Wie ich sehe», er trat um den Verkaufstisch herum und nahm ihr den Korb ab, «wie ich sehe, lässt Euer charmanter Anblick zwar seine Augen leuchten, ihn aber seine Höflichkeit vergessen. Oder liegt es an dem Akrobaten und der hübschen Tänzerin dort draußen?»
    Der Apotheker war ein Mann im letzten Drittel seiner dreißiger Jahre, an den Schläfen schon leicht ergraut, der Körper kräftig. Überhaupt wirkte er wie einer, den so schnell nichts umwirft. Die Augen im schmalen Gesicht hatten stets etwas Wachsames, andere nannten seinen Ausdruck teilnehmend oder interessiert, wiederum andere füchsisch. Ihre Mutter hatte gesagt, er sei ein tüchtiger Mann, aber einer mit verschiedenen Gesichtern. Molly hatte nur die Achseln gezuckt und erklärt, jeder Mensch habe doch viele Gesichter, ganz nach Stimmung und Gemüt.
    Der Blick, der seinen Gesellen nun traf, war schwer zu deuten. Momme Drifting errötete mal wieder und murmelte hastig eine Entschuldigung. Aber Molly lachte. Sie sei es gewöhnt, den Korb zu tragen, im Übrigen sei er heute leicht, und sie sei ja selbst von den Akrobaten so gefesselt gewesen, dass sie sogar vergessen habe, ihn für die Dauer der Vorführung abzustellen.
    Letzteres war ein bisschen gelogen, wie zumindest Momme wusste, es bestärkte ihn in seiner Ansicht, Jungfer Runge sei ein wunderbares Mädchen. Und allemal eine bessere Zukunftsaussicht als so eine Tänzerin. Seit es in der Konditorei am Rödingsmarkt wieder einen Meister gab, insbesondere einen, der gewiss noch zwei, womöglich drei Jahrzehnte Herr des Hauses sein würde, war Mollys nach dem Tod ihres Vaters kometenhaft gestiegener Wert als Braut für die Bäcker- oder Konditorgesellen wieder rapide gesunken, somit die Chance für andere, zum Beispiel einen Apothekergesellen, entsprechend gestiegen. Eine beglückende Aussicht. Leider gab es außer seinem Gesellenstand nichts, womit Momme Drifting um diese außer mit Rosenlippen auch mit einer ansehnlichen Mitgift ausgestattete Jungfer werben konnte. Sie war nicht mehr siebzehn, ihm musste bald etwas einfallen, wenn ihm niemand zuvorkommen sollte.
    «Momme! Träumst du?» Apotheker Leubold klopfte energisch mit der Fußspitze auf den Boden.
    Als hätte die klopfende Fußspitze wie ein Signal gewirkt, enthob ein mächtiger Knall Momme einer Antwort, es folgte ein Zischen, wieder knallte es, noch

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