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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Komödianten-Gesellschaft. Die wird im Dragonerstall-Theater gastieren, womöglich für längere Zeit. Ja, das sagt man. Man sagt auch», er beugte sich näher zu ihr und senkte die Stimme, «man sagt, der junge Mensch, dieser Akrobat, ist stumm. Wie ein Stockfisch. Dazu ein bisschen», er senkte die Stimme weiter zum Raunen, als müsse er ihr etwas höchst Ungehöriges anvertrauen, «nun, wie soll man sagen? Nicht ganz richtig im Kopf, ja, das soll er auch sein. Wie es bei solchen Krüppeln meistens der Fall ist.»
    «Krüppel?» Molly lachte. «Wenn einer ein Krüppel ist, der so», hier entglitt ihr ein inniger Seufzer, «wache Augen und so geschmeidige Glieder hat, so kraftvoll ist, dann will ich auch gerne einer sein. Außerdem kann es bisweilen ein Segen sein, wenn einer nicht spricht. Wie Ihr sicher selbst wisst.»
    Momme Drifting grinste breit. Obwohl es für einen flüchtigen Zuhörer so geklungen haben mochte, wusste er, dass sie damit nicht ihn und seine eifrige Rede meinte, sondern einige Damen und Herren, die nicht unbedingt krank, doch wohlhabend genug waren, um neuerdings Stammkunden einer Apotheke zu sein. Jeder Apotheker brauchte treue und zahlungskräftige Kundschaft, leider neigten gerade diese Herrschaften dazu, ihre wahren wie eingebildeten Leiden bis in unappetitlichste Details ausführlich zu schildern. Erst recht, seit der Michaels-Apotheker leichtfertig genug gewesen war, drei Stühle in seine Offizin zu stellen. Eine der mitteilungsbedürftigen Damen war die kürzlich zum zweiten Mal verwitwete Madam Schwarzbach. Ihr erster Mann und Vater ihrer inzwischen bis auf die jüngste Tochter erwachsenen Kinderschar, war der Zuckerbäcker Marburger gewesen. Der von ihr erstaunlicherweise wirklich geliebte Widerling war vor etlichen Jahren an einer lauschigen Stelle auf den Festungswällen erschlagen worden, es hieß, mit einer seiner eigenen Zuckerhutformen.
    Auch ihr zweiter Gatte, der Kattundruckereibesitzer Henner Schwarzbach, war nicht für Milde und Freundlichkeit bekannt gewesen, sondern nur für ertragreiche Geschäfte. Jedenfalls war die Witwe Schwarzbach nach einer Trauerzeit von etwa acht Wochen aufgeblüht wie eine Rose im Mai, das konnte auch der schicklich aufgelegte Reispuder kaum verbergen. Immerhin war Schwarzbach nicht als Mordopfer gestorben (was einige Bürger der Stadt kaum überrascht hätte), sondern einem schweren Schlagfluss erlegen.
    Sie hatte alles veranlasst, ihn zu retten, egal, wie teuer die Mittel und Behandlungen waren, und sich selbst Tag und Nacht aufopfernd der Pflege des Todkranken gewidmet. Dr.   Rohding und sein keineswegs als zimperlich bekannter Kollege Dr.   Kletterich hatten die von ihr als letztes Mittel geforderte Peitschung des Kranken mit Bennnesseln als sinnlose Tortur abgelehnt und versichert, regelmäßiger Aderlass, Klistiere und besonders Dr.   Rohdings spezielles, bei ein wenig Geduld stets heilsames Theriak sei die beste Behandlung. Schließlich hatte Madam Schwarzbach selbst versucht, ihren Gatten mit dem haarigen grünen Kraut ins Leben zurückzuholen. Leider vergeblich, obwohl es Frühsommer gewesen war, die Zeit, in der die frischen Nesseln als besonders wirksam bekannt waren.
    Nach dem Tod ihres zweiten Gatten war sie eine der besten Kundinnen der Michaels-Apotheke beim Opernhof geworden. Dem letzten Gerücht zufolge suchte sie dort einen neuen Ehemann, was für pietätloses Geschwätz gehalten werden musste. Andererseits war auch der Apotheker verwitwet, zudem seit so langer Zeit, dass sich kaum jemand – womöglich niemand? – an seine Ehefrau erinnerte. Die Wetten standen aber dagegen, kaum weil der Apotheker einige Jahre jünger war als die Dame, eher weil nur wenige der allzu vielen Hamburger Apotheker wohlhabend waren und Monsieur Leubold nicht zu ihnen zählte. Die Behauptung, Geld sei in dieser Angelegenheit ohne Bedeutung, sie habe doch selbst mehr als genug, zeugte nur von Weltfremdheit. Geld will immer zu Geld, hatte der Goldschmied vom nahen Jungfernstieg konstatiert, das werde sich nie ändern.
    Erstaunlicherweise hatte der, um den es hier ging, nämlich der Apotheker Gerrit Leubold, noch nichts von diesem Gerücht gehört. Er betrachtete Madam Schwarzbach und den kleinen Kreis von Damen und Herren, die sie in den letzten Monaten dazu animiert hatte, ebenfalls bei ihm einzukaufen, als so unerwartete wie höchst erfreuliche Bereicherung seiner Kundschaft. Dass sie die Offizin ab und zu mit einem der von ignoranten Subjekten

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