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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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dran und eilte weiter zur nächsten Einfahrt. Der Hof hinter den hölzernen Torflügeln gehörte wie das angrenzende Haus der Krögerin, einer resoluten Witwe mit einer Vorliebe für ausladende weiße Hauben, bei der die Becker’schen Komödianten schon oft Unterkunft gefunden hatten. Ein Stall im Hof bot Platz für die Wagen und Pferde der Komödiantengesellschaft, in der engbebauten Stadt eine Rarität, die eine saftige Extramiete kostete.
    Hier hatte auch lange eine «Komödienbude» gestanden, eine hölzerne Spielstätte für durchreisende Komödianten, Musikanten und Akrobaten, Zauberkünstler oder Operisten, die sich weder die Miete für das große Theater am Gänsemarkt leisten konnten noch genug Publikum anzogen, um das wohl tausend Zuschauer fassende Haus auch nur annähernd zu füllen. Die Billetts waren im Bremer Schlüssel zu kaufen gewesen, bis die Bude anno 1765 abbrannte, samt dem Brandstifter und beinahe auch mit Anne Herrmanns, die damals noch Anne St. Roberts hieß. Noch oft, wenn Rosina diesen Hof betrat und den aus den Schornsteinen aufsteigenden Rauch der Holzfeuer roch, erinnerte sie sich an das Grauen, das dieser Brand für ihre Freundin und auch für die Komödianten bedeutet hatte. Wer weiß, ob sie alle entkommen wären, wenn in jener Nacht kein so heftiger Regen mitgeholfen hätte, das Feuer zu löschen.
    Sie schob behutsam das nur einen Spalt offenstehende Hoftor weiter auf, schlüpfte hindurch und blieb stehen, für die Leute im Hof halb verdeckt von einem struppigen Holunderstrauch. Niemand bemerkte ihre Ankunft.
    Sie war in den vergangenen Wochen schon etliche Male hier gewesen, doch erst jetzt erfasste ihr Blick den Hof und die umliegenden Gebäude, als sei es das erste Mal, seit sie vor Jahren als junge Komödiantin hier Station gemacht hatte. Der Rosenstrauch neben der Küchentür war mächtig gewachsen, die stets missgestimmten Korbflechter, die nach dem Brand hier ihre Werkstatt eingerichtet hatten, waren verschwunden, wo ihre Hütte, tatsächlich damals kaum mehr als ein notdürftig errichteter Verschlag, gewesen war, stand nun ein solider Stall. Der Holunder war schon immer alt und struppig gewesen, so schien es ihr jedenfalls. Die Fenster waren sauberer als früher und zumindest drei in der ersten Etage, die der Wohnräume der Krögerin, hatten besseres Glas. Das Haus, das ganze Anwesen, sah erheblich manierlicher aus als noch vor fünf Jahren. Die Krögerin hatte zwar keinen neuen Ehemann ergattert, aber ihre Geschäfte gingen offensichtlich gut.
    Den Klang der Flöte hatte Rosina schon auf der Straße gehört. Fritz, nun ein hagerer junger Mann von achtzehn Jahren und jugendlicher Liebhaber der Truppe, hatte immer noch das nahezu weiße Kräuselhaar seiner Kindheit, nur dass es jetzt lang und im Nacken zu einem buschigen Zopf gefasst war. Das Flötenspiel hatte er vor Jahren auf Rosinas silberner Querflöte erlernt, die einzige Kostbarkeit, die sie vor langer Zeit aus ihrem Elternhaus mitgenommen hatte, und sie war seine Lehrerin gewesen. Nun spielte er auf seiner eigenen eine übermütige Tanzweise, die an eine der Melodien aus Monsieur Telemanns alter, aber immer noch populärer Alster-Suite erinnerte, an die Alster-Schäfer-Dorfmusik. Er spielte vergnügt und auf ganz eigene raue Weise virtuos, und jetzt sah sie auch, für wen.
    Helena und Jean drehten und wiegten sich und tänzelten in den vorgeschriebenen, auch auf der Bühne unzählige Male präsentierten Schritten eines altmodischen höfisch-französischen Tanzes im Staub des Hofes wie ein in die Jahre gekommenes Königspaar: die stolze Helena, der galante, eitle Jean, Erste Heroine und Heldendarsteller ihrer eigenen Theatergesellschaft. Der Anblick wärmte Rosinas Herz.
    Bei der Schuppentür stand Titus, Hanswurst und Spaßmacher der Gesellschaft und für sie alle der verlässlichste Freund. Er sah den Tanzenden zu und klopfte mit der Fußspitze den Takt in den Staub, von jeher rund wie ein Fass, in den Augen über der komischen Knollennase der vertraute melancholisch-skeptische Blick, das Haar nun schon mehr grau als gelb, doch struppig wie stets.
    Und dann tanzte ein anderes Paar hinter aufgehäuften Herbstvorräten von Heu und Stroh hervor. Magnus Vinstedt, ihr Ehemann, der von sich stets behauptete, er sei wahrlich kein Tänzer, hüpfte vergnügt wie ein junger Hund über den Hof, an seiner Hand, biegsam und gleichsam über den Boden schwebend wie eine Elfe, Florinde. Das schwarzglänzende Haar gelöst,

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