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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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davon. Eine recht hochnäsige Person übrigens, wenn man bedachte, dass sie nun zwar ehrbar verheiratet war – wie mochte sie es nur geschafft haben, diesen so höflichen, ansehnlichen und noch aus guter Familie stammenden Mann zu einem solchen Schritt zu verführen? –, aber von zweifelhafter Herkunft. Und unsittlicher Vergangenheit. Wanderkomödiantin war sie gewesen, eine Fahrende, die mit Schminke im Gesicht und unanständigem Dekolleté auf der Bühne herumhopste, schamlos ihre Beine zeigte, schamlose Liedchen trällerte und Stücke vorführte, von denen keine anständige Frau auch nur hören wollte. Obwohl man ihr all das nicht ansah, das gestand Madam Lorenzen zu. Hätte nicht ausgerechnet Mademoiselle Meyerink geschworen, dass es wahr sei, könnte sie es kaum glauben. Die war zwar überaus nervös, aber als Stiftsdame des St. Johannisklosters über jeden Zweifel erhaben. Womöglich stimmte das Gerücht, nach dem diese Person tatsächlich die eheliche, aber entflohene Tochter eines Herzogs aus dem Bayerischen war. Oder aus dem Sächsischen? Egal, altes Blut ließ sich eben nie ganz verleugnen. Aus Hamburg, überhaupt aus dem Norden, war sie jedenfalls nicht, sie sprach wohl recht manierlich, aber mit einem leichten Singsang in der Stimme, der hier nicht heimisch war. Die Stadt war eben voller Fremder. Kein Wunder, wenn die Verbrechen überhandnahmen.
     
    «D iese Madam Vinstedt» eilte schon am Heilig-Geist-Hospital vorbei über die Graskeller- und die Ellerntorbrücke weiter zur Neustädter Fuhlentwiete. Sie hatte es eilig und gar nichts über die weiteren Umstände des unvermuteten Todes Bruno Hofmanns wissen wollen. Es klang nach einem Unfall, wie er stark Betrunkenen nun einmal zustößt. Das war tragisch, ging sie aber nichts an. Sie hatte ihn nur flüchtig gekannt und seine Blicke nicht gemocht, punktum. Seine Stieftochter kannte sie auch nur wenig, mochte sie aber recht gern.
    Falls die Erinnerung sie nicht trog, würde für Molly Runge kaum die Welt zusammenbrechen, wenn Bruno Hofmann künftig darin fehlte. Es war gut, dass Molly eine so liebenswerte junge Frau war, niemand konnte auf die Idee verfallen, sie könne in irgendeiner Weise mit dem Tod ihres Stiefvaters zu tun haben. Andererseits – womöglich hatte sich doch herumgeflüstert, warum Molly Runge in diesem Jahr für einige Monate … Schluss!! Schon wieder begann sie, sich Gedanken über die Geschichten anderer Leute zu machen. Sie hatte genug eigene zu bedenken und zu ordnen. Schleichende Probleme, die andere für nichts als den Ausdruck einer übermäßig empfindsamen Seele hielten. Zum Beispiel ihr just von Madam Lorenzen auf einen hehren Sockel gesetzter Ehemann. Sie liebte Magnus, und er liebte sie, daran war nicht zu zweifeln – wie war es dann möglich, dass sie einander häufig nicht verstanden? Als sprächen sie mit demselben Vokabular verschiedene Sprachen.
    In der Neustädter Fuhlentwiete – trotz ihres auf einen engen Gang hinweisenden Namens eine recht breite Straße – herrschte, wie stets um diese geschäftige Tageszeit, Gedränge. Zudem lockte das milde Herbstwetter alle hinaus, die nur irgendeinen Anlass dazu fanden, verführte zu einem Schwätzchen hier und da oder dazu, für einen Moment das Gesicht in die Sonne zu halten und beim Gedanken an die rapide nahende dunkel-kalte Jahreszeit noch einmal wohlig zu seufzen.
    Rosina blieb nicht stehen, hielt kein Schwätzchen und seufzte gewiss nicht wohlig. Sie bereute den Kauf des feinen, mit kostbarem Karmesin gefärbten Beutelchens schon. Natürlich passte er gut zu Helena, aber er war zu teuer gewesen, als dass eine Wanderkomödiantin Gleiches mit Gleichem vergelten konnte, und sei es die Prinzipalin. Der Wert eines Geschenkes maß sich nicht am Preis, aber seit sich ihre Wege und damit auch ihre Welten getrennt hatten, hatte dergleichen dennoch Bedeutung bekommen. Gerade deswegen hatte sie ein Spanschächtelchen mit einigen Stücken von Molly Runges superbem Konfekt kaufen wollen, das wäre passender gewesen. Plötzlich blieb sie stehen und lachte erleichtert auf. Es war ganz einfach. Sie würde sagen, der Beutel sei von Magnus und ihr. Helena mochte Magnus sehr, und dass er ein solches Geschenk machen konnte, war für sie gewiss kein Problem.
    Aus der weit offenstehenden Tür des Gasthauses Bremer Schlüssel drang Gelächter, in einer der Stimmen erkannte Rosina Jakobsens sonoren Bass. Sie hätte dem Wirt und alten Freund gerne guten Tag gesagt, aber sie war spät

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