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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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deshalb soll man gut leben, solange es uns möglich ist. Wenn es beliebt, Madam, zeige ich Euch gern mehr von unseren Waren, allein der delikate Geruch des Leders … Ach, jetzt weiß ich es. Verzeiht, wenn ich Euch nicht gleich erkannt habe. Euer Gatte, Madam, hat uns erst kürzlich wieder die Ehre gegeben, Monsieur Weinstadt, nicht wahr?»
    «Beinahe. Wir heißen Vinstedt. Aber wenn Ihr …»
    «Natürlich, Vinstedt. Wie kann ich nur so vergesslich sein. Dabei ist er ein so überaus reizender Herr, auch ungemein ansehnlich, wenn Ihr erlaubt, dass ich das sage, Madam. Und das Leder für seinen neuen Mantelsack – eine exzellente Wahl, die meisten Herren entscheiden sich ja nur für festes Tuch, höchstens gewachstes Leinen, aber Euer Gatte – nur die beste Qualität ist ihm gut genug, ja, die allerbeste. Wahre Vornehmheit zeigt sich im Geschmack, in der Delikatesse der Empfindungen, im …»
    «Wie schön», unterbrach Madam Vinstedt hastig den so geschäftstüchtigen wie ermüdenden Erguss, «dass Ihr über der Trauer um Euren Nachbarn Eure Geschäfte nicht vernachlässigt. Aber Ihr wolltet mir sicher auch anvertrauen, woran der arme Meister Hofmann so plötzlich gestorben ist.»
    «Das ist noch ungewiss, Madam», wechselte auch die Lederwarenhändlerin so ungerührt wie bereitwillig das Thema, «jedenfalls wurde er heute in aller Frühe hier im Fleet gefunden, es war noch dunkel und vor der Flut, schon auflaufendes Wasser. Der Nachwächter hat ihn entdeckt, was ein Glück war. Bevor die Ratten ihn entdeckt hatten, was verwunderlich ist, weil diese Viecher sonst alles blitzschnell riechen. Meilenweit, ja, das tun sie. Wir vom Leder können da Geschichten erzählen – aber ich will Euch nicht grausen, Madam. Der Nachtwächter hat ihn bei seiner letzten Runde vor Sonnenaufgang entdeckt, wie er da unten lag. Mausetot, wenn Ihr den Ausdruck erlaubt. Ach, er war ein so schöner Mann.»
    Ihr tiefes Aufseufzen mochte als Zeichen von Trauer gedeutet werden, tatsächlich bedauerte sie in diesem Moment das Verbot ihres Ehemanns und Hausherrn, zu erzählen, dass er den Nachbarn kurz vor dessen Tod sturzbetrunken auf der Straße gesehen hatte. Natürlich gab es da nichts zu befürchten, aber man konnte nie wissen, was die Leute daraus machten. Außerdem war es schlecht für die Geschäfte, Nachteiliges über einen just Dahingeschiedenen zu erzählen, umso mehr, wenn er ein Nachbar gewesen war, und womöglich verfiel auch jemand auf die Idee, Lorenzen hätte mitten in der Nacht aufstehen und dem torkelnden Nachbarn nach Hause helfen müssen.
    Madam Vinstedt war inzwischen herangetreten, ließ ihren Blick über die ausgelegten Waren gleiten und griff schließlich nach einem karmesinroten, wie ein Pompadour gearbeiteten Beutel aus feinem weichem Ziegenleder.
    «Es heißt», plauderte Madam Lorenzen vertraulich vorgeneigt weiter, «er habe in dieser Nacht ausnahmsweise – ich sage ausnahmsweise, denn er war ein ehrbarer Meister! –, er habe eben doch mal zu tief ins Branntweinglas geguckt und sei ratzfatz übers Geländer ins Fleet gestürzt. Er muss in der Tat furchtbar betrunken gewesen sein, sonst hätte er doch vernehmlich um Hilfe gerufen. Denkt Ihr nicht auch? Mein Gatte und ich hätten es gewiss gehört. Es ist ja nur wenige Schritte von hier passiert, und ich leide an flachem Schlaf, müsst Ihr wissen, sehr flachem Schlaf, ja, ich höre ALLES. Andererseits», nun senkte sie ihre Stimme zum Raunen, «andererseits heißt es, der Hofmann sei nicht immer ein Ehrenmann gewesen, und», ihr Blick glitt blitzschnell die Straßen hinauf und hinunter, «und man hat da ein Messer gefunden.»
    Der Aalverkäufer vom Neuen Kran komme jeden Morgen auf dem Weg zu seiner Arbeit hier vorbei, der habe ihr anvertraut, es habe noch in ihm gesteckt. Genau! Das Messer. In dem toten Meister Hofmann.
    «Ganz und gar blutig. Aber er hatte die Nachricht auch nur aus dritter Hand, sozusagen. Ich möchte Euren Tag nicht mit unappetitlichen Schilderungen verderben, Madam, sicher gibt es bald Flugblätter mit Nachrichten von der Leiche, ich meine dem armen Hingeschiedenen und allem Drumrum. Oh, Madam hat einen exquisiten Geschmack! Wirklich, dieser Beutel passt wunderbar zu Eurer Garderobe, eine gute Wahl. Meine ergebensten Empfehlungen an den Herrn Gemahl, Madam Weinstadt, beehrt uns bald …»
    Da hatte diese Madam schon den geforderten Preis gezahlt, ohne das kleinste bisschen Feilschen, was bei so einer Person erstaunlich war, und eilte

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