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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Freunden wie entfernten Bekannten und jedem Klatschmaul in der Stadt war diese Ehe glücklich geworden. Trotzdem fand er das Thema unangenehm. Thomas hingegen lächelte verschmitzt.
    «Womöglich hätte ich früher auch nicht so gesprochen», erklärte er leichthin, «heute weiß ich, es ist von wenig Belang, wenn die Eheleute im Alter ein wenig – differieren. Ihr wisst, was ich meine: wenn die Ehefrau einige Jahre älter ist. Meine wunderschöne Agnes und ich sind jedenfalls sehr glücklich und haben vor, es auch zu bleiben.»
    Der Senator grinste, Claes entspannte sich. Aus Thomas’ Worten sprach die Liebe. Agnes war immer eine kalte Schönheit gewesen – Claes wusste es aus längst vergangener Zeit nur allzu gut –, und schön war sie noch. Doch niemand verstand, wie es Thomas gelungen war, die für ihren Jähzorn berüchtigte Agnes trotz alledem zu einer liebenden, meistens sogar zufriedenen Ehefrau zu machen. Vielleicht lag das Geheimnis darin, dass Thomas Agnes von Anfang an und ohne Bedingung geliebt und so ihr kaltes Herz erwärmt hatte.
    Das Kaffeehaus leerte sich. Jensen, wie immer um diese Zeit hochroten Kopfes und vor Hektik und Sorge um unbezahlte Zechen gequälten Blicks, scheuchte schon seine Mädchen, das schmutzige Geschirr und die herumliegenden langen Tonpfeifen einzusammeln. Claes Herrmanns und Thomas Matthew beglichen am Schanktisch ihre Rechnungen, als zwei neue Gäste das Kaffeehaus betraten und ohne zu zögern, als würden sie sich gut auskennen, in den hinteren Raum gingen und an einem der Tische nahe den Fenstern Platz nahmen. Jensen, der wichtige Männer wie den Großkaufmann und zukünftigen Senator Herrmanns stets zur Tür dienerte, wenn es seine Geschäftigkeit nur irgend zuließ, verabschiedete die beiden Herren heute nur flüchtig und eilte mit erwartungsfroh gehobenen Händen zu den Neuankömmlingen.
    Claes Herrmanns, der, danach gefragt, stets behaupten würde, diese ewige Dienerei des Wirtes sei wirklich übertrieben, bisweilen sogar lästig, sah Jensen nun irritiert nach. Einer der beiden Männer war ihm unbekannt, der andere der Kalkhofschreiber, dessen Namen Claes ständig vergaß. Wenn Jensen die eilfertige Bedienung dieser beiden nun für wichtiger erachtete, als ihm und Thomas die Tür aufzuhalten, verstimmte ihn das. Eine eitle Regung, wie er selbst wusste, und peinlich genug, sie für sich zu behalten. Trotzdem empfand er so.
    «Kennst du die beiden, Thomas?», fragte er leise.
    «Der so überaus Wohlgenährte im schwarzen Tuchrock ist der Kalkhofschreiber – wie heißt er doch? Du weißt schon, er …»
    «Ja», unterbrach Claes ihn, «ich vergesse seinen Namen auch immer. Und der andere? Den habe ich hier nie zuvor gesehen.»
    «Ich auch nicht. Interessantes Gesicht.»
    «Wenn Ihr erlaubt, Messieurs», Jensens Schankmagd, zugleich seine älteste Tochter, beugte sich vertraulich vor und fuhr eifrig, wenngleich mit gesenkter Stimme fort: «Der Herr ist Monsieur de Saint-Germain, ein französischer Graf, aber er lässt sich nicht so anreden, er ist ein ganz bescheidener Mensch. Und sehr besonders. Er ist überaus klug, sagt mein Vater. Der Monsieur spricht unsere Sprache perfekt, und er ist in vielen Wissenschaften bewandert, ich verstehe davon natürlich nichts, aber er weiß …»
    Sie errötete, schluckte erschreckt und wandte sich hastig knicksend ab, um durch die nächste Tür in die Küche zu verschwinden.
    Erröten und Eile mochten an Monsieur oder gar Graf von Saint-Germains durchdringendem, seltsam hellem Blick gelegen haben, denn als Claes sich noch einmal nach den beiden Männern umwandte, fing auch er diesen Blick auf, sah dazu die strenge Miene in dem noch jungen Gesicht. Aber dann, verändert im Bruchteil einer Sekunde, zeigte das Gesicht ein höflich-verbindliches, beinahe vertrauliches Lächeln. Saint-Germain neigte grüßend den Kopf, wie es Bekannte taten. Claes wandte sich Thomas zu, aber der ging schon zur Tür. Dieser Saint-Germain hatte nicht Thomas, sondern nur ihn, Claes Herrmanns, so gegrüßt. Entweder der Mann verstand sich nicht auf Hamburger Sitten, hier wurde niemand einfach so gegrüßt, dem man nicht vorgestellt worden war, oder er neigte zu falscher Vertraulichkeit. Aber da hatte Claes schon zurückgegrüßt, wie ein Automat, und ärgerte sich. Jeder, der sie beobachtet hatte, nahm nun an, der Mensch sei mit ihm bekannt. Andererseits – warum nicht? Ein ansehnlicher junger Mann, elegant gekleidet, Gast in einem guten Kaffeehaus, eine

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