Die Nacht des Schierlings
ist …»
«Schade?» Jean setzte sich kerzengerade. «Das ist unser Glück!! Solange die Schröder’sche Gesellschaft unterwegs ist, wird hier kein Theatervergnügen geboten. Also werden die Leute uns die Tür einrennen!»
«Wenn Rudolf mal irgendwann fertig wird», warf Titus ein, worauf aber niemand hörte.
«Kann sein, Jean.» Gesine, ein Muster an Realitätssinn, war nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. «Trotzdem ist es schade, weil Rudolf sich sonst die Maschinerie dort ansehen könnte. Sie wird nicht viel anders sein als die in Gotha, womöglich größer, das hiesige Haus ist ja erheblich größer. Aber dann käme er sicher rascher voran.»
«Glaub ich nicht», meldete Titus sich nun lauter zu Wort. «Ihr kennt doch Rudolf. Er hat in Gotha alles genau angesehen und penibel vermessen, jeden Span, jeden Holznagel, jedes Tau aufgemalt. Er redet eben nicht viel. Tatsächlich ist er fast fertig, er muss nur noch alles zusammensetzen. Und gründlich ausprobieren, damit uns nichts auf den Kopf fällt.»
«Sehr richtig.» Jean fand es an der Zeit, in Erinnerung zu bringen, wer hier der Prinzipal war. Er hätte jetzt gerne eine passende Zeile aus einem bekannten Drama zitiert, notfalls sogar aus einer Komödie, leider fiel ihm nur eine banale Redensart ein. «Gut Ding will Weile haben», schloss er mit würdevollem Blick.
«Ist mir auch recht», sagte Titus und hielt der just hinter ihm bereitstehenden Schankmagd seinen geleerten Bierkrug hin.
«Und Florinde? Ist sie auch noch im Theater?», fragte Rosina.
Sie bekam keine Antwort, weil sich just in diesem Moment ein neuer Gast zu ihnen gesellte. «Guck an: Rosina. Auch mal wieder hier beim niederen Volk?» Der Mann war dünn, sein Dreispitz abgewetzt, aber an den Rändern mit neuen Bändern eingefasst, an seinem sonst schlichten Tuchrock prangte eine erstaunliche Menge in Farbe wie Material unterschiedlicher Knöpfe, was selbst für einen Knopfmacher wie Servatius ziemlich verwegen war. «Rutsch ’n bisschen, Titus», sagte er, «ich setz mich mal zu Euch, wenn’s recht ist.»
Rosina war es leid, seit ihrer Heirat hier begrüßt zu werden, als lasse sie sich nur ausnahmsweise dazu herab, bei Jakobsen einzukehren, der doch ein alter, immer wieder gern besuchter Freund war. Bevor sie eine treffende Antwort geben konnte, fuhr der Knopfmacher schon fort: «Da kann ich ja gleich bei der Quelle fragen.» Er nahm einen Schluck Bier und rülpste genüsslich hinter höflich vorgehaltener Hand. «Sag doch mal, Rosina, was ist das nun mit dem toten Konditor? Mord oder nicht?»
Rosina seufzte. «Warum fragst du mich danach, Servatius? Frag Wagner.»
Alle grinsten, Titus schnaufte amüsiert, und selbst der grauen Gesine entfuhr ganz gegen ihre Art ein Kichern.
«Warum? Du machst ’n Witz, oder? Du stehst doch immer bestens mit unserm Weddemeister, das weiß allmählich jeder. Und Wagner sagt ja nichts, aus dem ist einfach nichts rauszukriegen. Dabei war der Hofmann kein Senator oder sonst was Großes, wo man sich den Mund verbrennen kann. Nur ’n Konditor. Dazu aus Bergedorf. Wie der wohl die Witwe vom alten Runge rumgekriegt hat, dass sie ihn heiratet?» Er schnalzte und lachte auf diese meckernde Art, die gewöhnlich mit feuchten Lippen und blitzenden Augen einhergeht, «das kann man sich denken, was? Der soll ja wie ’n junger Stier gewesen sein, der Hofmann, und zwar nicht nur bei seiner Alten. Hat ihm wenig genützt, oder? Der war …»
«Servatius! Halt dein Schandmaul», rief Jakobsen vom Schanktisch. «Du redest Unsinn. Und vergiss besser nicht, dass Damen am Tisch sitzen!»
«Danke, Jakobsen», sagte Rosina. «Und du, Servatius – falls du es vergessen hast: Ich habe Wagner ab und zu ein bisschen unterstützt, AB und ZU! Wenn ich ZUFÄLLIG was gehört hatte, zum Beispiel von schwatzhaften Kerlen und Spökenkiekern wie dir.» Das auf den Bänken, hinter dem Schanktisch, sogar aus der Küche zu hörende Prusten und Kichern konnte sie nicht unterbrechen. «Ich habe keine Ahnung, was mit dem bedauernswerten Konditor passiert ist, jedenfalls nicht mehr, als alle in der Stadt wissen: Ins Fleet gefallen, und aus war’s.»
«Na ja», sagte Magnus Vinstedt, während er seine Frau noch verzückt ansah, denn genauso heftig und aufrecht, unverstellt und direkt hatte er sie kennengelernt und sich sofort in sie verliebt. «Da gibt es schon das eine oder andere Gerücht, Rosina. Aber es stimmt», wandte er sich mit harmloser Miene an Servatius, «diesmal hat
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