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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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solche Bekanntschaft machte auch einem hanseatischen Kaufmann keine Schande.
    Claes hielt zwei eintretenden Damen – es waren doch Damen? – die Tür auf und trat auf die Straße. Die Sonne schien, der Tag war wirklich schön, das stimmte ihn heiter. Es wurde Zeit, ein wenig auf sich Acht zu geben. Wenn ihn schon störte, dass ihn ein Unbekannter grüßte, wurde er bald wie Freund Bocholt, nämlich stocksteif und an weniger guten Tagen moralinsauer.
    Thomas verabschiedete sich, und Claes ging kräftig ausschreitend über die Zollenbrücke, durch den Grimm und über den stillen Katharinenkirchhof, schließlich über die letzte Brücke hinüber zur Wandrahminsel. Ein paarmal blieb er stehen, dann nannte er sich töricht, dieses Gefühl, jemand folge ihm, versuche gar, ihn einzuholen. Das war pure Einbildung. Er hatte zu wenig und dazu schlecht geschlafen, das war alles. Es kostete ihn Kraft, doch halbwegs gelang es ihm, sich den plötzlich wieder auftauchenden Bildern der letzten Nacht zu verschließen. Jetzt war nichts mehr zu ändern.
    Noch mehr als sonst freute er sich an diesem Tag auf sein Zuhause; wenn er sich beeilte, würde er kaum mehr als eine Stunde für die Arbeit im Kontor brauchen, den Rest erledigte Christian. Er hatte allergrößte Lust, mit seiner Frau eine Ausfahrt zu unternehmen, nicht wie üblich zu ihrem Garten an der äußeren Alster, sondern weiter. Vielleicht am östlichen Ufer entlang zum Gut Uhlenhorst, auch dort lud, wenn man die richtigen Verbindungen hatte, ein schöner Garten zur Rast. Dafür waren die Tage eigentlich schon zu kurz, aber wenn sie sich beeilten … Das mochte Anne entscheiden. Ihm war heute alles recht.
    Später sollte er sich an diesen beschwingten Heimweg im milden Licht der Herbstsonne erinnern und denken, wenn er gewusst hätte, welches Unheil da schon näher kroch, wäre er noch viel schneller gegangen.

KAPITEL 5
    R osina Vinstedt war das letzte Stück des Weges zum Bremer Schlüssel nicht gerade gerannt, aber doch sehr eilig gegangen und nun ein bisschen außer Atem. Dass es sich für die Frau eines Bürgers nicht gehörte zu rennen, hatte sie dabei nicht bedacht. Einige der Freiheiten, die sich eine Wanderkomödiantin erlauben kann, weil sie als Fahrende sowieso in schlechtem Ruf steht, hatte sie beibehalten. Wenn ihr danach war, rannte sie, wobei sie allerdings die Röcke weniger raffte als in vergangenen Wanderjahren. Das gehörte zu den Kompromissen, die sie als nötig erachtete, schließlich war sie mit ihrer Heirat in die Welt zurückgekehrt, aus der sie gekommen und für die sie erzogen worden war. Zu ihrem und Magnus’ Glück lebten sie in einer der größten Städte Europas, hier gab es genug Menschen, deren Sitten nicht zu streng, deren Denken nicht zu eng war. Sie hatte sich nach all den Jahren auf dem Komödiantenkarren nach Sesshaftigkeit gesehnt und war es zufrieden, bis auf leider zunehmende Anfälle von neuerwachter Wanderlust und Unruhe, manchmal sogar von Langeweile.
    Noch einmal holte sie tief Atem, dann zog sie die Gasthaustür auf und trat ein. An langen, gescheuerten Tischen standen einfache Bänke, weiter hinten, nahe dem Kachelofen (der ganze Stolz des Wirts), waren nun auch ein paar kleinere, mit reinen Tüchern gedeckte Tische aufgestellt, dazu solide Stühle, denn seit einigen Jahren lockten Ruths deftige, stets appetitliche Speisen auch Gäste an, die man sonst nur in besseren Gasthäusern traf. Diese Tische waren noch leer, auch auf den Bänken hockten erst wenige, der Nachmittag war fortgeschritten, doch wer Arbeit hatte, arbeitete noch. Zumindest solange der Himmel hell war. Nur der Tisch gleich beim Ausschank war besetzt, die Gäste saßen Schulter an Schulter, nah beieinander wie nur Freunde oder Familien.
    Rosina fühlte sich plötzlich wie auf einer Zeitreise. War es erst anderthalb Jahre her, seit sie als eine von ihnen dort gesessen hatte, zwischen den Mitgliedern der Becker’schen Komödiantengesellschaft? Meistens neben Helena, der fülligen Frau mit dem kastanienroten Haar, auf der Bühne wie im Leben am liebsten in der Rolle der stolzen Heroine, um die Schultern ihr buntes Tuch mit den inzwischen nicht mehr ganz so seidig glänzenden Fransen. Jean war da, Prinzipal und ihr Ehemann, Titus, Gesine und Magnus. Sie trafen nicht das erste Mal hier zusammen, seit die Komödianten wieder in der Stadt waren, aber nun erschien es ihr endlich selbstverständlich, so wie früher, als sie noch Rosina Hardenstein gewesen war und nicht

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