Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
Rosina ZUFÄLLIG gar nichts von Mord und Totschlag gehört, sie denkt zurzeit nur an das Theater. Und nebenbei – Wagner hat noch nicht angeklopft. Es scheint, er kommt alleine zurecht.»
    «Tja, er rennt rum und fragt Leute aus, das tät’ er nicht, wenn der Hofmann einfach nur ertrunken wär’. Nun red schon, Rosina, ich seh’s dir doch an, du weißt was.»
    «Ich weiß nur, was alle wissen», beharrte sie. «Oder wissen können. Es wird auch erzählt, beim Sturz übers Geländer müsse jemand nachgeholfen haben. Aber aus irgendeinem Grund, ich habe keine Ahnung aus welchem, beunruhigt Hofmanns Tod die Leute nicht. Jedenfalls nicht annähernd so sehr wie der Tod der beiden Frauen im Frühjahr.»
    «Ist doch klar, Rosina», erklärte Jean. «Frauen und Drama – das passt einfach besser zusammen. Wie auf der Bühne. Und dann: ein Konditor. Ich bitte dich, wie das schon klingt! Sagt wenigstens Confiseur oder Pâtissier , das klingt weitaus eleganter. Selbst wenn es ein Komödiant wäre, ein Advokat, sogar ein Senator, ein Poet, von einem toten Baumeister oder einer Gräfin will ich gar nicht erst reden – das klingt nach was. Aber so ein Rosinenrührer? Ich weiß nicht, interessiert uns das?»
    Er sah Helena Bestätigung heischend an, doch die runzelte nur die Stirn. Sie hatte es noch nie gemocht, wenn sich Rosina oder irgendwer, der ihrem Herzen nah war, um solche Verbrechen kümmerte, Stand und Beruf der Toten waren ihr dabei einerlei. Im Tod waren alle gleich, davon war sie überzeugt. Auf der Bühne war das natürlich etwas anderes, das Publikum liebte Verbrechen und Vergnügen, beides gern recht derb – das unterhielt alle gut, und als Akteurin war sie immer bereit, es zu bieten. Tränen oder gar Ohnmachten im Publikum würzten das Ganze nur. Im wahren Leben hingegen strebte sie nach Harmonie und Sicherheit. Unglück gab es auf den Straßen genug.
    Jakobsen hingegen grinste. Obwohl sich das Gasthaus inzwischen füllte, warf er seiner Schankmagd das Tuch zu, das er stets an der Lederschürze trug, immer bereit, verschüttetes Bier von den Tischen zu wischen, bedeutete Lineken, sie solle Acht geben, dass alle Gäste versorgt seien, und setzte sich zu den Komödianten.
    «Vorzüglich, Jean», erklärte er und klopfte dem Prinzipal feixend auf die Schulter, «eure Vorstellungen versprechen wieder großartig zu werden. Aber es stimmt schon», er beugte sich vor und senkte die Stimme so weit, dass alle am Tisch ihn gerade noch verstanden, «sonst tratscht und tuschelt die ganze Stadt, wenn einer auf ’ne Weise abgekratzt ist, die der Herrgott nicht gutheißen kann. Aber glaubt mir, diesmal dauert es nur ein bisschen länger, bevor sich das Volk einig ist. Hier hört man, dem Hofmann hat einer das Lebenslicht ausgeblasen, dort hört man, der ist ins Fleet gefallen, weil er betrunken war. Man sagt ja nicht umsonst sturz-besoffen. Ich mag das aber nicht glauben. Es war doch noch Ebbe, da wäre er leicht wieder rausgekommen. Direkt bei der Brücke ist doch eine Leiter in den Vorsetzen. Nee, nee, es gab genug, denen der Konditor nicht gepasst hat. Da ist es gut möglich, einer hat die Gelegenheit genutzt und – ich will mal sagen: für Ordnung gesorgt.»
    Bruno Hofmann, so erfuhr die Runde nun, hatte aus gutem Grund im Ruf gestanden, bei Weibern wie Damen ungemein beliebt zu sein. Meisterin Hofmann trauere zweifellos am tiefsten, doch sicher gräme sich zudem die eine oder andere Weibsperson, von der die Witwe nichts wisse.
    «Und manche wird verdammt froh sein», fuhr Servatius dazwischen. «Der Hofmann war nicht gerade ein Prahlhans, aber manchmal ganz schön selbstherrlich. Kann gut sein, dass es eine scheinbar brave Ehefrau gab, die Angst haben musste, er plaudert ihr Geheimnis aus. Das wäre so gut wie am Pranger stehen.»
    «Genau. Und wenn ein Kerl mehr als einer Frau schöne Augen macht, gibt es immer welche, die das gar nicht gut finden. Ist doch klar.» Jakobsen ließ den Blick über die inzwischen neu eingetroffenen Gäste flitzen, sah Lineken eifrig vom Schanktisch zu den Tischen laufen und beugte sich wieder den anderen zu. «Es ist immer die alte Geschichte. Aber ob die stimmt? Ich weiß es nicht. In der letzten Zeit war der Hofmann ab und zu hier, ziemlich oft sogar, aber Mädchen hat er nicht mitgebracht, er hat nur …»
    «Natürlich nicht», brummte Titus, von dem alle gedacht hatten, er döse längst vor sich hin, «fünf Minuten von zu Hause, die Nachbarn gleich vor der Tür oder gar am

Weitere Kostenlose Bücher