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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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schmalen, schon ein wenig gebeugten Schultern erschienen. So nachdenklich oder gar streng, wie er vorhin ausgesehen hatte, so verschmitzt blickte er jetzt.
    «Noch zwei Dinge, Gerrit. Zum einen: Hüte deine Zunge! Deinen Konkurrenten in den Apotheken und den Ärzten sollte nicht zu Ohren kommen, was du von ihnen denkst. Die kennen sich hier besser aus und haben ältere und verlässlichere Verbindungen – es wird ihnen ein Leichtes sein, dich zu ruinieren und zu vertreiben. Zum anderen», um seine alten, zwar geröteten, aber glasklaren Augen entstand ein dichtes Netz von Falten, «zum anderen, mein Lieber, sei ernsthaft in deiner Arzneikunst, sie zählt zu den höchsten und edelsten Künsten, aber nimm dir auch das Theater zum Vorbild. Erzähle den Leuten, was sie hören wollen, das tun die anderen auch. Gib ihnen die Illusion, dass ihre Wünsche wahr werden. Das brauchen wir doch alle. Du wirst deswegen nicht zum Scharlatan, du wirst sowieso nur verkaufen, was du für wirksam hältst. Obwohl», fuhr er betrübt fort, «wir alle nicht genau wissen, was wirkt. Wie, warum und wie lange etwas wirkt», hier seufzte er abgrundtief. «Also hör auf zu grübeln. Und sobald ich mit meiner neuen Rezeptur zufrieden bin, werden sie alle kommen, mir fehlt nur noch die eine oder andere Zutat. Ingredienz, ja. Einige wenige. Man muss manchmal warten, besondere Arten von …» Der Rest ging in einem rauen Husten unter. «Glaub mir, Junge», sagte er, als er wieder Luft bekam, «so was spricht sich schnell rum. Du zählst ja schon einige Damen und Herren mit gutgefülltem Beutel zu deiner Kundschaft. Warum wohl? Die haben davon gehört und wollen die Ersten sein, sobald …»
    «Wann», fragte Leubold, « wann sind Sie fertig? Bisher kosten die Experimente nur.»
    Da schloss sich die Tür so rasch und leise wieder, dass er beinahe dachte, er habe die letzen Minuten nur geträumt.
    Er setzte sich wieder über sein Kassenbuch , stützte den Kopf in die Hände und schloss müde die Augen. Er hätte sich nicht darauf einlassen dürfen, den versponnenen, vielleicht sogar verrückten alten Mutterbruder aufzunehmen, und erst recht nicht darauf reinfallen dürfen, als der ihm mit heiserem Flüstern versprach, er habe das Rezept für das beste, das einzig wirksame Theriak. Er sei kurz vor der Fertigstellung des Allheilmittels. Was viele Scharlatane landauf, landab schon als solches verkauften, sei dagegen alles Humbug und Betrug.
    Er, Leubold, hätte es wirklich wissen müssen. Natürlich war die Sache mit den Allheilmitteln äußerst fragwürdig, gleichwohl glaubte alle Welt daran, verkaufte jeder Apotheker, verordnete jeder Arzt die Mittel jedem, der sie bezahlen konnte. Manche Kranke kratzten ihr letztes Geld dafür zusammen, verkauften ihr letztes Schwein für so eine mit verheißungsvollem Flüstern aufgedrängte Arznei, wenn sie nur Hoffnung gab, Schmerzen und Leid, gar den Tod zu verscheuchen. Und die hinter vielen vermeintlichen Leiden lauernde Angst.
    Unbestreitbar gab es erstaunliche Heilungen. Wenn bei Licht besehen auch niemand wirklich wusste, wieso. Er seufzte. Aber man machte mit, man musste schließlich leben.
    Aber Friedrich? So wie er, Leubold, der Kundschaft Wohlergehen und langes Leben versprach, wenn sie seine Kräuter und Tränke, seine Pillen und Pulver, Pflaster und Tinkturen kauften, Schönheit und Liebreiz, wenn sie seine Duftwässer, Puder und Salben erstanden, so wie sie ihm glaubten, war er Friedrichs Versprechungen erlegen. Inzwischen wusste er es besser: Friedrich kostete nur.
    Doch was war da zu tun? Der Alte war der Bruder seiner Mutter und sein einziger noch lebender Verwandter. Den setzte man nicht vor die Tür. Und obwohl er sich einen Narren schalt, glaubte er trotz aller Zweifel an so ein Mittel. Irgendetwas in ihm glaubte, dass es zu finden sei, und das machte ihn geduldig. Wahrscheinlich war es nichts als eine letzte Hoffnung. Was sonst konnte ihn retten? Alles, was er gehabt hatte, hatte er in den Erwerb der Apotheke und das, was neu gekauft oder im Magazin ergänzt werden musste, gesteckt. Schließlich hatte er noch Geld geliehen – nun brauchte er ein Wunder.
    Aber diesen Schnösel in den teuren Kleidern, den Friedrich sich neuerdings in den Keller einlud, der mit ihm köchelte und werkelte, unergründlich lächelte und keineswegs nach einem Apotheker aussah – den musste er loswerden. Er gestand es sich ungern ein, aber seit dieser junge Mensch mit dem fremdländischen Akzent und dem feinen,

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