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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Mensch, insbesondere ein Apotheker oder Arzt, dass das unmöglich war. Spötter hielten das ganze Unzer’sche Zeug für nichts als getrockneten weißen Hundekot . Aber – Unzer und seine Gattin Johanne Charlotte fuhren gern vierspännig, gingen in Seide und tranken nur vom besten Wein.
    Leubold setzte sich in einen der neuen Lehnstühle für die Kundschaft, zündete nach kurzem Zögern doch die dritte Kerze an und zog den Leuchter näher an das aufgeschlagen vor ihm liegende Kassenbuch der Apotheke. Er blickte missmutig auf die Eintragungen, reckte die steifen Schultern und verschränkte die Arme im Nacken. Sein Blick wanderte – oder flüchtete – zur Decke der Offizin.
    Er hatte lange nicht mehr zu diesem hölzernen türkisblauen Himmel und zu Sonne und Mond hinaufgesehen, die darauf prangten. Zu seinen Schutzgöttern? So heidnisch hatte man es zu Anfang annehmen können, aber sie hatten ihn bald im Stich gelassen. Nie zuvor hatte er sich auf so schwankendem Boden gefühlt. Wie auf Schlick? Der Gedanke gefiel ihm überhaupt nicht.
    Sein Vorgänger in dieser Apotheke war hier gestorben, steinalt, womöglich just in diesem Stuhl, und das hatte er sich auch gewünscht, als er Offizin, Magazin und Laboratorium samt Inventar und allen Vorräten kaufte. Hier wollte er bleiben, nochmal eine Ehefrau finden und gut leben und schließlich, wenn seine Zeit gekommen war, in Frieden sterben. So ein Unternehmen bot ein sicheres Auskommen, wenn man viel gelernt hatte und nach der langen Lehrzeit nicht aufhörte, wach und wissbegierig zu sein. Man musste mehr wissen als jede Kräuterfrau, mehr, als welche der zahlreichen Kräutlein für welche Leiden gewachsen waren, nämlich wie man komplizierte Mittel herstellte, auch die mineralischen, und sie – das besonders – überzeugend anpries. Wobei es natürlich nie gelingen konnte, die Überfülle der möglichen Mittel und Ingredienzien vorrätig zu halten. Gerade bei den pflanzlichen Mitteln, die, zu lange gelagert, ihre Kraft verloren und alle Jahre erneuert werden mussten. Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was an altem Zeug dennoch verkauft anstatt vernichtet wurde.
    In einer so großen Stadt, hatte er sich vorgestellt, müsse damit leicht ein zumindest behagliches Auskommen zu erwirtschaften sein. Leider hatte er nicht bedacht, dass vor ihm schon zu viele andere diese Idee gehabt hatten.
    Es gab hier keine Apothekenordnung, die so gültig wie ein Gesetz war. In dieser Weltstadt konnte schon seit einem halben Jahrhundert ohne Regel und Gesetz jeder ein paar stinkende Essenzen auf einen Verkaufstisch stellen, ein Reihe Gläser und Dosen mit getrockneten Kräutern und Wurzeln, Wundermitteln aus Hundekot und Pferdepisse, Schachteln mit obskuren Käfern, getrockneten Würmern, Einhornpulvern, und sein Kellerloch Apotheke nennen. Dazu kamen die Gewürzkrämer, natürlich auch die Ärzte, obwohl immerhin diesen beiden konkurrierenden Berufsständen beim Verkauf von jeglichen heilkräftigen Mitteln, zu denen die meisten Gewürze ja auch zählten, Beschränkungen auferlegt waren, die aber niemand kümmerte oder gar kontrollierte .
    Irgendwo rumpelte es, Leubold hielt den Atem an – und atmete mit erleichtertem Pfeifen wieder aus. Das Geräusch kam nicht aus Friedrichs Hexenküche im Souterrain, überhaupt nicht aus diesem Haus. Er war zu schreckhaft. Es gab keinen Grund mehr, das Leben ging ja weiter.
    Ja, die fehlende Kontrolle. Nur die Ratsapotheke, die im Auftrag und auf Kosten des Rats arbeitete, wurde – hin und wieder und, wie es hieß, sehr nachlässig – vom Stadtphysikus kontrolliert. Es stand ohnedies schlecht um die große Apotheke nahe dem Rathaus, sie war ständig im Minus, was aber kein Wunder war, bei den vielen Vorräten, die sie vorzuhalten hatte, und den vorgeschriebenen «Geschenken» zu Ostern und zum Christfest an Beamte der Stadt, von den vier Bürgermeistern über den Stadtphysikus und Kämmereischreiber bis zu den Ratsmusikern und Speisemeistern der Hospitäler. Große Körbe voll mit Morsellen, Marzipan, Likör, Violensaft oder orientalischem Safran und Räucherpulver, Tinte, Kirschwasser, manche bekamen auch bares Geld – im letzten Jahr hatte sich das auf einen ungeheuren Betrag summiert. Kein Wunder, wenn von der Abschaffung der Ratsapotheke gesprochen wurde, der Garten war schon längst völlig verwildert.
    Er stand auf und ging zum Fenster, das zum Durchgang vom Gänsemarkt zum Opernhof hinausging. Obwohl es noch nicht spät war, sah er

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