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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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«Und Quecksilberwasser?», fragte sie schüchtern. «Meine Schwester schwört bei Würmern darauf, besonders für ihre Kinder. Sicher ist es auch teuer, aber wenn es hilft? Wie wird es denn gemacht? Oh, denkt nicht, ich will Eure geheimen Rezepturen auskundschaften, ich möchte nur wissen, was es enthält.»
    «Darum gibt es kein Geheimnis, Madam, man kann es in überall zugänglichen Schriften nachlesen, zum Beispiel in Dr.   Unzers medizinischem Handbuch. Das ist für den Hausgebrauch gedacht. Ihr habt sicher davon gehört, er hat lange als Arzt in Altona praktiziert. Er ist nicht nur bei uns ein berühmter Mann.»
    Sie sah ihn immer noch fragend an, er hatte wieder einmal vergessen, dass die meisten seiner Kunden, besonders der Kundinnen, gar nicht oder nur das Nötigste lesen und schreiben konnten.
    «Quecksilberwasser, nun gut. Das müsste ich erst zubereiten, es sollte frisch sein. Da gibt es eine ganze Reihe von verschiedenen Rezepten, gegen Würmer siede ich für gewöhnlich einige Lot weißen Kaneel und Graswurzel, dito vom Gelben der Pomeranzenschale in acht Pfund Wasser, bis ein Viertel davon verkocht ist. Nach dem Abseihen wird es mit vier Lot Quecksilber vermischt und über Nacht an einem milden warmen Ort gelassen, am Morgen gieße ich das oben stehende Wasser ab, das Quecksilber muss im Bodensatz zurückbleiben, das ist wichtig, Madam, lasst Euch nichts anderes erzählen. Es kann nämlich giftig sein. Vermischt dies Wasser mit Honig, falls Ihr welchen habt, so schmeckt es Kindern besser, dann lasst Euren Sohn täglich einige Tassen davon trinken.»

    Innenansicht einer Apotheke um 1700.
    Sie sah ihn eher verwirrt als verständig an, einen solchen Vortrag hatte sie weder erwartet noch gewünscht. Damit hatte er ihr offenbar auch den Wunsch nach diesem Wasser ausgetrieben. Zu einfache, klare Mittel, zu wenig Geheimnis. Schließlich verließ sie den Laden mit einem kleinen Fläschchen Nussöl. Sie würde ungehend zum nächsten Schmutzapotheker laufen.
    Gerrit Leubold legte die kleinen Münzen in seine Kasse und klappte sie müde zu. Was für ein Tag. Am ärgsten war allerdings der vornehm, aber ein wenig stutzerhaft gekleidete Herr mit dem ungewöhnlichen roten Siegelring am kleinen Finger gewesen. Als er dessen Frage nach einem Schächtelchen pulverisierter Mumie, «wie man sie in London überall bekommt», abschlägig bescheiden musste, fragte der Kerl nach fünf Unzen Menschenfett, wandte sich mit verächtlichem Lächeln ab und ging zur Tür hinaus, als Leubold nur ärgerlich knurrte, danach möge er den Fron fragen, der Henker habe so was vielleicht im heimlichen Angebot.
    Natürlich, das und schlimmeren, dem Irrsinn und der Krankheit anstatt der Gesundheit dienenden Unsinn gab es landauf, landab in Apotheken zu kaufen, in manchen Apotheken. Wobei sicher etliche Unzen Menschenfett von einem Hingerichteten tatsächlich von ordentlich geschlachteten Tieren stammen mochte. Bei ihm gab es so was nicht. Selbst wenn er es sich hätte leisten können, solcherlei sündhaft teuren Hokuspokus im Vorrat zu halten, würde er es nicht tun.
    Drei ärztliche Rezepturen, leider nur für billig zu habende Teemischungen, eine weitere hatte er ablehnen müssen, weil sie nicht leserlich genug war, zweimal gewürztes Zuckerwerk, eine Flasche von der ebenfalls billigen, wenig haltbaren Tinte, eine Salbe gegen Sommersprossen, ein Pulver gegen Motten, etwas Wunderbaumsud gegen die Trägheit des Gedärms – das war der Ertrag des heutigen Tages. Nicht einmal eines schlechten Tages im Vergleich mit anderen. Ach ja, und das Duftwasser. Das war das Teuerste des Tages gewesen, leider nicht das Ertragreichste, es brachte kaum Gewinn.
    Sicher machte Dr.   Unzer es richtig. Er praktizierte nicht mehr, er und seine kugelrunde, stets vergnügte Gattin, eine einst bewunderte Poetin, die allerdings auch nichts Neues mehr verfasste, lebten gut von seinem Wundermittel. Seine in früheren Jahren verfasste berühmte Wochenschrift Der Arzt hatte ihn berühmt gemacht, sein darauf fußendes und erst kürzlich neu gedruckt erschienenes Medizinisches Handbuch fand sich auch in Leubolds bescheidener, seiner täglichen Arbeit dienenden Bibliothek. Wohlhabend war Unzer allerdings – so hieß es jedenfalls, und es war nur schlüssig – durch seinen fleißig und mit geschickter Werbung weithin betriebenen Handel mit «Geheimmitteln». Mittel, die gegen jede Krankheit wirksam sein sollten, dabei wusste jeder halbwegs gebildete und denkende

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