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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Bis auf die Berberitzen, die wurden nach den ersten Nachtfrösten geerntet, sonst war ihr Saft gar zu sauer, auch so fand er als wohlfeiler Ersatz für teuren Zitronensaft Verwendung. Aber verschiedenste Sorten von spät reifenden Äpfeln wie Reinette, Boskoop oder Gravensteiner, auch Butterbirnen und Pflaumen wurden jetzt noch geerntet, die letzten Pfirsiche, es war ein mageres Hagebuttenjahr, Nüsse hingegen gab es nun in Hülle und Fülle, von Rhein und Mosel kamen Weintrauben.
    Also wurde im Hause Hofmann, von dem man schon wieder als vom Haus Runge sprechen hörte, getrauert, aber auch emsig gewirtschaftet. Niemand behauptete, das eine schließe das andere aus. Auch über einem toten Hausherrn durfte man das Leben und die Lebenden nicht vergessen, schon gar nicht den Fortgang der Geschäfte. So war der Lauf der Welt.
    Damit hätte es gut sein können. Ein Mann war gestorben, bedauerlicherweise unter nicht gerade vornehmen Umständen, nun war er beerdigt, und Friede sei mit ihm. So einfach war es in diesem Fall nicht, denn plötzlich war alles anders. Das geradezu heimliche Begräbnis erwies sich nachträglich als gute Entscheidung.
    Nun war es endgültig und unaufhaltsam durch die Gassen gegeistert: Bruno Hofmann war nicht einfach nur ins Fleet gefallen und zu betrunken gewesen, um trotz Ebbe wieder herauszufinden. Irgendjemand hatte verhindert, dass er herausfand. Irgendjemand hatte ihn ermordet.
    Es schien nicht wirklich bewiesen, umso bunter blühten Klatsch und Spekulationen.
    So hatte sich Erhard Frederking, Schneidermeister für die besten Häuser der Stadt, besonders gern auf den Weg zur Anprobe im Neuen Wandrahm gemacht. Die Herrmanns waren nicht nur eine bedeutende Familie mit besten Verbindungen, der Hausherr ging jeden Tag zur Börse und anschließend in Jensens Kaffeehaus, nirgends kursierten mehr Nachrichten als an diesen beiden Orten.
    Er wurde enttäuscht. Monsieur Herrmanns, der sonst durchaus ein gewisses Vergnügen an Gerüchten und Gerede zeigte, plauderte heute nur von Belanglosem. Frederkings Versuch, über den Tod des Konditors zu sprechen, wurde freundlich übergangen. Der zweite Versuch schon weniger freundlich. Da hatte der Schneider schlau aufgegeben. Später wurde er noch zu einer weiteren Anprobe erwartet, Madam Schwarzbachs Lakaien sollten neue Uniformen bekommen (sie hatte sich für verwegenes Violett entschieden), dort würde er sicher Neuigkeiten hören. Fraglich war nur, ob die mehr sein würden als die nächste Portion Spekulationen. Madam Schwarzbach war eine Dame mit ausgeprägter Phantasie. Beim letzten Mal hatte sie von diesem Grafen erzählt, der das Geheimnis der ewigen Jugend …
    Ein Räuspern holte ihn zurück in Herrmanns’ Ankleidezimmer. «Exzellent, Monsieur, wirklich exzellent.» Frederking lispelte nuschelnd, was keinem Sprachfehler, sondern der Reihe von Stecknadeln zu danken war, die er mit den Lippen festhielt. Schneider standen im Ruf, mehr als andere Berufsstände zu lispeln, einen gebeugten Rücken und einen tänzelnden Gang zu haben, auch Schminke zu benutzen, wie es die Damen goutieren, für die sie zumeist arbeiten, weil Damen erheblich mehr Garderobe benötigen als die Herren. Tatsächlich stimmte all das nur in einigen Fällen. Grundsätzlich war auch die Behauptung, Damen in wohlhabenden Kreisen benötigten mehr Garderobe als Herren, nämlich viel zu viel, nur eine stete Beschwerde von Ehemännern und Vätern mit einer Neigung zum Geiz. Die Damen benötigten nur mehr Stoff, weil die Röcke ihrer Gewänder nun mal viele Bahnen mehr benötigten als ein Beinkleid, in der Weite und weil eine anständige Frau stets mindestens zwei, besser drei Röcke übereinander trug. Und das mit der Schminke war auch nur ein Vorurteil, andere Herren benutzten sie viel häufiger, wobei weniger die hanseatischen als die in der Stadt lebenden italienischen und französischen Herren auf der Liste der Verdächtigten ganz oben standen.
    Meister Frederking ließ tatsächlich sein Aussehen hin und wieder mit ein wenig Rouge gesünder erscheinen, Gesundheit war neuerdings stark in Mode, jedoch niemals, wenn er einem honorigen Großkaufmann in einem prächtigen Haus wie diesem Rock und Weste anmaß. Ein Auftrag, für den eigentlich keine Zeit gewesen war, aber einen Monsieur Herrmanns ließ man nicht warten.
    «Recht schön, Frederking, wirklich recht schön.» Claes Herrmanns betrachtete sich wohlgefällig in dem mannshohen Spiegel in seinem Ankleidezimmer und strich behutsam

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