Die Nacht des Schierlings
Neue Methoden und Rezepte ausprobieren kann nie schaden. Auch andere Morsellen für die Apotheken. Monsieur Leubold ist vielleicht nicht einverstanden, wenn wir auch welche an andere Apotheker verkaufen, da herrscht die bitterste Konkurrenz bis zur Feindschaft. Aber wenn wir jeweils andere Sorten anbieten, müsste er es akzeptieren. Er ist stets sehr entgegenkommend. Ich sollte bald mit ihm reden.»
«Du fragst gar nicht nach Momme.»
«Sollte ich? Er hat mir gesagt, was er für dich in der Schachtel hatte. Ich hoffe sehr, es wird dir guttun. Er ist ein freundlicher Mensch, nicht wahr?»
«Freundlich?» Magda strich Molly zart eine Haarsträhne hinters rechte Ohr, ihre Finger berührten sanft das Kinn ihrer Tochter. «Ich kenne ihn nicht gut genug, um das wirklich zu wissen. Fühlst du dich wohl in der Apotheke?»
«Bei Leubold? Ja, ich finde es interessant, es scheint mir gar nicht so weit entfernt von dem, was wir hier tun. Und Meister Leubold, ja, er ist auch interessant. Wusstest du», fuhr sie rasch, den Kopf über ihr Buch gebeugt, fort, «dass er einen seltsamen alten Oheim hat, der im Souterrain werkelt und irgendwelche stinkenden, ich fürchte sogar explosiven Tinkturen köchelt? Ein schrulliger alter Kerl, aber er hat gewitzte Augen. Und dann ist da noch ein jüngerer Mann, ein wirklich recht junger», überlegte sie und lächelte. «Er ist hübsch, Mutter. Ich wüsste zu gerne, was sie dort tun. Aber warum fragst du, ob ich mich dort wohl fühle?»
Magda lehnte sich zurück, ihr Gesicht lag fast im Dunkeln, aber Molly sah, wie sie lächelte. «Ich frage, weil ich denke, ein gewisser junger Mann hat eine innige Vorliebe für dich gefasst. Sieh mich nicht so erstaunt an, Kind, du wirst es doch bemerkt haben. Ich meine den jungen Drifting.»
«Momme? Momme Drifting? Oh, Mutter, nein, das ist unmöglich. Ich meine, ja, ich habe gemerkt, dass er mich recht gern sieht, aber sicher sieht er alle Mädchen recht gern. Du hättest hören sollen, wie er vor einigen Tagen über diese junge Komödiantin gesprochen hat, die mit ihrer Gesellschaft im kleinen Komödienhaus auftreten wird. Und wie er sie angesehen hat! Hat er dich etwa gefragt? Heute? An diesem Tag? Wie kann er so gefühllos sein?»
«Er hat noch nicht direkt gefragt. Aber fühlst du dich zu ihm hingezogen? Kannst du dir vorstellen, ihn zu heiraten?»
«Heiraten?! Du klingst, als sei das ein Rechenexempel.»
«Das ist eine Heirat immer auch, mal mehr, mal weniger. Letztlich geht es für beide Seiten darum, jemand zu haben, mit dem man das Leben bewältigen kann, einander zu helfen und zu stützen. Ich möchte, dass du gut aufgehoben bist.»
«Aber ich bin doch gut aufgehoben. Hier. Ich will hierbleiben und in der Backstube arbeiten. Und sicher treffe ich jemand, der, der – der ist aber nicht Momme. Er riecht immer so komisch, und er ist nicht sehr klug, fürchte ich. Dafür ziemlich selbstgefällig. Ich finde ihn eher komisch. Sollte man seinen Ehemann nicht als jemand Besonderen und Großartigen achten? Stolz auf ihn sein?»
Magda Hofmann seufzte. Abgrundtief.
«Ja, Kind, das sollte man wohl. Vergiss einfach, was ich gesagt habe. Wir leben jetzt im Trauerjahr, da darf nicht geheiratet werden. So lange wirst du sowieso hierbleiben. Hier bei uns.»
Später, als Molly längst in ihrer Kammer war, klang es ihr noch im Ohr: Hier bei uns. Voller Unruhe trat sie ans Fenster. Sie begann zu frieren, aber der Blick in die Nacht gab ihr Frieden. Die Nacht war eben doch nicht ganz schwarz, da waren die Sterne, auch wenn die meisten sich hinter Wolken verbargen, und da war der Widerschein des Wassers, das überall in der Stadt gegenwärtig war. Auch das bescheidene Licht der Laternen mochte dazu beitragen, dass die Nacht nicht wirklich schwarz war. Sie meinte nun sogar, in dem Türmchen auf dem Dach des Hauses gegenüber das Dohlenpaar zu sehen, das sie schon seit Jahren immer gern beobachtete. Dohlen blieben, wenn sie sich einmal gefunden hatten, ihr Leben lang zusammen. Das hatte der jüngere Herrmanns erzählt, Niklas, der sich mit Vögeln und Insekten gut auskannte. Das musste schön sein. Und traurig, denn dann gab es auch bei den Vögeln Witwen und Witwer.
In dem Türmchen bewegte sich nun nichts mehr. Sicher hatte sie sich geirrt, Dohlen waren keine Nachtvögel. Vielleicht war dort eine Katze herumgestrichen. Molly rieb sich die müden Augen und beschloss, endlich zu Bett zu gehen. Der Schlaf kam schnell, als habe er schon ungeduldig gewartet.
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