Die Nacht des Schierlings
der Hofmann tot, und man hört, der Herrmanns», nun wurde die Stimme gleichsam zischend, «der war ganz in der Nähe, als einer den Konfektbäcker im Fleet umgebracht hat.»
«Tatsächlich! Du meinst, der Hofmann, also der Stiefvater von der kleinen Runge, hat den Herrmanns zur Rechenschaft ziehen wollen? Und da hat es solchen Streit gegeben, dass am Ende einer tot war? Ich weiß nicht recht. Dass der Herrmanns noch unterwegs war, muss ja nichts heißen, das waren sicher viele, mein Mann war in der Nacht auch auf dem Nachhauseweg. Und pass besser auf, Hermine, über so einen so was zu sagen kann übel ausgehen. Der Herrmanns gehört nun mal zu denen, die in der Stadt ganz oben was zu sagen haben, die halten alle zusammen, da kannst du machen, was du willst. Und bald soll er Senator werden, da muss man die Zunge erst recht hüten.»
«Ach was, Emme. Ob der Senator wird, ist noch gar nicht raus. Und dein Mann – ist der in dieser Nacht unversehrt nach Hause gekommen?»
«Ja, natürlich. Was …»
«Siehst du. Aber der Herrmanns, der feine Monsieur, der hatte ’nen völlig zerrissenen Rock.»
«Was?! Woher weißt du das? Vielleicht hat ihn einer überfallen, dass bei dem was zu holen ist, sieht man sogar im Dunkeln. Oder er ist irgendwo hängen geblieben und – ratsch.»
«Ich weiß, was ich weiß. Und ich weiß auch, dass seine Madam, diese arme dürre Engländerin mit dem Silberblick, davon erst Tage später erfahren hat. Zufällig! Er wollte den Rock verschwinden lassen, stell dir das mal vor! Was das bedeutet, wenn einer zu Hause nicht erzählt, wie er sich in der Nacht geprügelt hat und den Beweis verschwinden lässt, muss man nicht erklären, oder? Du meine Güte, es schlägt schon zehn. Jetzt muss ich aber laufen. Nur eins noch, Emme. Der Herrmanns, ich sage es dir, der hat es faustdick hinter den Ohren. Kann mir keiner erzählen, dass der nichts mit dieser Komödiantin hat, du weißt schon: diese Tanzmamsell, die jetzt einen manierlichen jungen Ehemann hat. Alles nur Camouflage. Wie bei den Fürsten, die verheiraten ihre Liebschaften auch immer mit so ’nem bedauernswerten Kerl. Die arme Madam Herrmanns! Wäre sie doch auf ihrer englischen Insel geblieben. So spät noch heiraten und dazu so weit in die Fremde – ich sag’s ja immer: Bleibe im Lande und nähre dich redlich. Dann …»
«Augenblick, Hermine, das versteh ich jetzt aber nicht. Ich denke, der hatte was mit der Stieftochter von dem toten Konfektbäcker, mit Molly Runge.»
«Na und? Schließt die eine die andere aus? Eben!»
Die Stimmen verloren sich, während die Glockenschläge der Turmuhr von St. Nikolai verklangen. Rosina stand wie erstarrt.
Sie war lange genug als Wanderkomödiantin herumgezogen, um an Schlimmeres als Klatsch und üble Nachrede jeder Art gewöhnt zu sein. Hätte sie nun darüber nachgedacht, hätte sie fest überzeugt behauptet, böse Zungen könnten ihr nichts mehr anhaben. Nachdem sie als Magnus’ Ehefrau ins bürgerliche Leben zurückgekehrt war, hatte sie sich gewappnet, Anfeindungen mit hocherhobenem Kopf zu ignorieren. Sie war sicher gewesen, denen jetzt erst recht zu begegnen, weil sie frech genug war, einfach auf die ehrbare Seite zu wechseln und so auch zu zeigen, wie gering der Unterschied zwischen einer Fahrenden und den Bürgern sein konnte. Zu ihrer Überraschung war man ihr freundlich begegnet, zumeist sogar mit Respekt. So hatte sie gedacht.
Endlich spürte sie den fragend bohrenden Blick der Wursthändlerin, sie stand immer noch nahe genug bei deren Tisch, um als unentschlossene Käuferin zu gelten. So ließ sie sich anderthalb Dutzend der feinen französischen Würstchen in den Korb packen, zahlte und eilte davon. Ein drängendes Gefühl in ihrem Rücken, wie von strafenden und höhnischen Blicken, begleitete sie bis in ihre Wohnung in der Mattentwiete.
Schwer atmend stellte sie den Korb in die Diele. Es war still, ein Sonnenstrahl durchschnitt den kleinen Salon und ließ feine Staubkörnchen in seinem Licht tanzen, einer der Fensterflügel war nur festgehakt anstatt geschlossen, ihre silberne Querflöte lag noch auf dem Notenständer anstatt in das Samttuch gewickelt in ihrem Kasten, das Tintenglas stand unverschlossen auf der ausgeklappten Platte des Schreibschrankes, eine der oberen Schubladen, in denen auch neue Federn und das Federmesser mit dem Perlmuttgriff lagen, stand halb offen – sie sah nichts von alledem. Sie war nach Hause gelaufen wie ein Kind, das gestolpert ist, sich Knie
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