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Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Titel: Die Nacht des Ta-Urt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Bödeker
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von den Juden aufgebracht hatte, stürzte auf Wessel zu.
    "Erschlagt sie alle, sie haben die Brunnen vergiftet."
    Der Mann starrte Wessel aus einem Auge an, das andere blickte tot und schwarz an ihm vorbei, sein Atem stank faulig. Mit hartem Griff hielt er Wessels Oberarm gefangen und versuchte, ihn mit sich zu ziehen.
    Aber Wessel befreite sich mit einem energischen Ruck und der Mann fiel in den schmutzigen Schnee.
    "Rede keinen Unsinn, Alter ," herrschte er ihn an, "was ist denn geschehen?"
    "Die Pest" brabbelte der Alte nur weiter, stand auf und verschwand in der Menge.
    Wessel griff nach einer vorbeilaufenden Frau, die auf dem Arm ein Kind trug. Das Kind schaukelte hilflos hin und her und schrie aus vollem Hals.
    "Was ist geschehen?" versuchte er sie aufzuhalten, aber die Frau war schon vorbei.
    "Alle tot" hörte er wieder aus der Menge heraus rufen und jetzt erstmals eine feste Stimme:
    "Das ist nicht die Pest, seht doch hin, Leute, keine Anzeichen von Pest."
    Wessel erkannte die Stimme. Sie gehörte Gregor Balthius , dem General der Noiren . Balthius , ein hagerer, in braunes Wams gekleideter Mann, beugte sich über eine der Leichen. Der Oberkörper des Toten war bis zur Hüfte entblößt.
    "Seht her ," wiederholte er, "keine Beulen, weder unter seinen Armen noch am Hals und in der Leistenbeuge auch nicht. Es ist nicht die Pest."
    Wessel sah genauer hin und jetzt erkannte er den Toten. Es war ein Schneider, der ihm einmal seinen Mantel gefertigt hatte. Außerdem war er ein Mitglied der Bruderschaft, ein Albion , gewesen.
    "Was ist es dann", riefen die Leute durcheinander, "was wenn nicht die Pest?"
    "Vielleicht ist es Schlimmeres."
    Die Worte Balthius ' schienen ihre beruhigende Wirkung zu verfehlen.
    "Man hat drei weitere in ihren Betten tot liegend gefunden." murmelte eine alte Frau neben Wessel. "Niemand weiß, woran sie gestorben sind. Jetzt sind es schon neun. Vielleicht wurden sie ermordet."
    Ein junger Bursche wischte sich weinend den Rotz aus dem Gesicht.
    "Er hat heute morgen einfach tot im Bett gelegen ," heulte er, "gestern war er noch fröhlich. Das war nicht die Pest."
    Er deutete auf eine der Leichen und sagte zu den Umstehenden wie zur Entschuldigung:
    "Dieser ist mein Vater."
    Wessel sah auf die Leiche, auf die der Junge deutete. Auch diesen Mann kannte er von den nächtlichen Ausfahrten, auch er war ein Bruder, ein Albion , gewesen. Plötzlich erschien Balthius neben ihm und zog ihn vorsichtig zur Seite, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.
    " Morgen abend treffen wir uns bei Bruder Morgenthaler."
    Noch bevor Wessel, erschrocken über den Anblick der Toten, etwas fragen konnte, verschwand Balthius wieder in der Menge.

 
    ***

 
    Das Unglück hatte sich schnell in der Stadt herumgesprochen. Die Leute sahen in den Kammern ihrer Häuser nach ihren Angehörigen, Mägden, Knechten oder Gesellen. Insgesamt zwölf Tote fand man und brachte sie zum Markt.
    Alle waren sie Angehörige der Bruderschaft der Albions .
    Wessel, der wie angewurzelt neben dem Leichenberg gestanden und den Tod seiner Brüder betrauert hatte, wollte sich gerade umwenden um den Platz zu verlassen, als er plötzlich die Carda Manne auf sich zu kommen sah. Er war flüchtig mit ihr bekannt, einige Male hatte sie ihm bei kleineren Erkrankungen geholfen und er hatte ihr dafür aus seinen Büchern die Geheimnisse seltener Kräuter verraten. Eine Hand wusch die andere, aber er hatte im Moment wenig Zeit, um sich auf einen Plausch einzulassen.
    Carda kam direkt auf ihn zu, versperrte ihm den Weg und zupfte aufgeregt an seinem Mantel.
    "Hör zu, Wessel ,“ sagte sie, „wir müssen uns sprechen. Ich habe ein Zeichen erhalten, dass etwas Schreckliches geschehen wird.“
    "Ruhig, du dummes Weib ,“ antwortete Wessel ungeduldig, "reiß mir nicht den Mantel entzwei. Was heißt geschehen? Ist nicht schon genug Schreckliches geschehen heute?“
    Leicht unwillig wollte er sie abschütteln, alle Tage sahen irgendwelche Weiber irgendwelche Zeichen, das war nichts Ungewöhnliches und meist vermuteten sie Schreckliches. Wahrscheinlich dachte sie jetzt, wo sie ihn hier hatte stehen sehen, dass sie in ihm einen Komplizen gefunden hätte und wollte ihn gleich in all ihr Zeug einweihen.
    Aber etwas in ihrer Stimme sagte ihm, dass es wirklich dringend war.
    "Nicht hier, Wessel ,“ sagte sie, “komm zu mir, wenn du Zeit hast.“
    Und schon wollte sie wieder in der Menge verschwinden, aber nun war es an Wessel, sie zurückzuhalten.
    "Warte ," sagte

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