Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
nicht selbst gemacht, nur von einem Trödler für einen Achtel Groschen gekauft, aber es war ihre einzige Erinnerung an ihn. Die Häscher des Fürsten waren gekommen und hatten ihn zum Dienst in der Armee gepreßt und sie hatte ihn nie wieder gesehen.
Sie dachte zurück an den Hof ihres Vaters. Dort waren, noch als sie ein Kind gewesen war, die Tage mit Arbeit ausgefüllt gewesen. Seit sie laufen konnte, hatte sie sich nützlich machen müssen und war es nur, dass sie auf ihren dünnen Beinen abgefallene Zweige für ein Feuer im Ofen zusammenraffen ging.
Aber zu einer Zeit, als sie aus der Kindheit hinauszuwachsen begann und die ersten Blicke der Dorfburschen auf sich zog, waren Veränderungen mit ihr vorgegangen, die sie für die Arbeit fast untauglich werden ließen. Zu gewissen Zeiten, und immer öfter, war sie mitten im Lauf stehengeblieben und für ihre Umwelt wie verloren. Dann konnte man sie umstoßen, sie fiel wie ein Stock zu Boden und blieb steif liegen, bis ihr seltsamer Zustand sie wieder aus der Starre entließ. Während dieser Momente webten eine Vielzahl leiser Stimmen in ihrem Inneren an einer eigenen Welt hinter der Welt. Es waren nicht eigentlich Stimmen, die sie dann vernahm und nicht eigentlich Bilder, die sie sah, es waren Kundgebungen aus einer Welt hinter der Linie von Sehen und Hören. Sie sah und hörte, bevor Sehen die Sache des Auges und Hören die Sache der Ohren wurde. Sie sah mit dem innersten ihrer Seele das Innerste der Dinge. Und dieses Innerste der Dinge, das sie gesehen hatte und das zu ihr sprach, sagte ihr, dass sie zu warten habe, zu warten, bis ihre Zeit sich erfüllen würde in einer Begegnung mit dem noch nicht Geschehenen.
Sie verstand nicht, was das bedeutete, aber sie lebte in der Zuversicht, dass es etwas Schönes sein würde, und diese Zuversicht nahm sie aus ihrer Begabung, die das Geheimnis ihr schenkte. Sie war nämlich auch im Wachen imstande, mehr zu hören und zu sehen, als die Menschen in ihrer Umgebung es konnten.
So vernahm sie etwa deutlich, ob ein Pilz die Wurzel eines Baumes befallen hatte, ob das Brunnenwasser vergiftet war oder ob sonst ein Unheil drohte. Aus dem Flug der Vögel, den Farben des Laubes und dem Wuchs des Mooses an den Bäumen konnte sie allerlei Ungemach vorhersehen. Ihre Begabung bewirkte, dass Krankheit, Totgeburten des Viehs oder Mißernten dem Hof des Vaters wenig anhaben konnten, immer war man durch Carda gewarnt. So zählte der Hof zu den eher wohlhabenden der Umgebung.
Natürlich hatte man sie zunächst zum Dorfpfarrer gegeben, um festzustellen, ob eine Behexung vorliege. Aber der Pfarrer erkannte in ihren Zuständen eine vorübergehende Angelegenheit derer man sich ruhig und ohne Sorge weiter zugunsten des Hofes bedienen dürfe, solange man kein Unheil über seine Nächsten damit bringe. Die Zustände würden wahrscheinlich von selbst verschwinden.
Carda seufzte, als sie daran dachte, dass der Pfarrer leider recht behalten hatte.
Als sie dann ins heiratsfähige Alter gekommen war, hatte ihre Mutter einen Heiratsvermittler bestellen müssen. Es war schwierig, für die etwas seltsame junge Frau den rechten Mann zu finden. Sie war kräftig, recht hübsch und ihr Vater nicht arm, aber kein Mann wollte eine Frau zum Weib nehmen, die durch ihre seltsame Gabe in vielen Dingen klüger war als er.
Der Mann, den der Heiratsvermittler schließlich aufgetan hatte, war Vermögend und ein Handwerker von Ehre, Mitglied in der Zunft der Tuchschneider, die in der Stadt hohes Ansehen genossen und den größten Teil der Ratsmitglieder stellten. Als Aussteuer hatte Carda ihre Truhe mit Bettwäsche und ihre wunderschönen Taschentücher in die Ehe gebracht. Im Wirtshaus feierte man drei Tage lang ausgiebig und bewirtete die Gäste hochherrschaftlich.
Carda erinnerte sich gern daran. Außer dem jährlich wiederkehrenden Karneval war es die einzige Zeit in ihrem Leben gewesen, in der sie hatte essen und trinken können, was und so viel wie ihr gefiel. Die Leute waren lustig gewesen und hatten gesungen und getanzt bis sie umfielen und liegenblieben, wo Müdigkeit und Rausch sie überwältigte.
Aber schon bald nach der Hochzeit, noch bevor sie die Ehe vollziehen konnten, war der Mann gestorben, und Carda war in ein nahe der Stadt gelegenes Kloster gegangen. In der dortigen Abgeschiedenheit hatte sie von den frommen Frauen, die ihr Leben der Wohltätigkeit und der Nachfolge Christi gewidmet hatten, so einiges über Hebammendienste und allerlei
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