Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
Kräutermedizin gelernt. Von der Mutter Oberin erhielt sie sogar einen Stab auf dem die Namen der vier Evangelisten – in lateinischen Buchstaben – geschrieben waren. Mit diesem Stab rührte sie die Heilsalben an, mit deren Hilfe die Bosheit von Kobolden und Elfen bekämpft werden konnte. Wunden, Schlangenbisse, Ohrenschmerzen, Gicht und andere Gebrechen heilte sie mit Alraune oder Mandragora und dem wiederholten Aufsagen von Sprüchen.
Einmal hatte sie sogar im Stall der Oberhuser , der größten Bauern der Umgebung, zum Schutz der Tiere das heilige "Agios, Agios, Agios" gesungen und war nicht schlecht dafür entlohnt worden und so manchen Nachbarn heilte sie immer noch vom Zahnweh, ganz wie Christus den Petrus, als dieser durch einen Wurm in seinem Zahn schrecklich litt, geheilt hatte durch Austreibung des Wurmes.
Bei all dem folgte sie genau dem Wissen, welches ihr weitergegeben worden war und machte im Laufe der Zeit auch eigene Erfahrungen. Zum Kräuter sammeln ging sie stets barfuß, schwieg auf dem Wege in den Wald und zurück und übte einige Zeit vorher die Art Enthaltsamkeit, die ihr seit dem Ableben ihres Mannes ohnehin auferlegt war. Und zum Ausgraben von Pflanzen benutzte sie nie Eisenwerkzeug, das hätte nur die Wirksamkeit der Medizin beeinträchtigt.
So lernte sie viel, aber sie blieb sich stets bewußt , dass allein der Segen Christi der Medizin ihre Kraft gab. Sie wusste nur wie man sie herstellte, das Geheimnis ihrer Wirksamkeit war göttlichen Kräften anheimgegeben.
Aber ganz wie der Pfarrer damals gesagt hatte, waren ihre Zustände und ihre Vorahnungen seit der Hochzeitsnacht gänzlich verschwunden.
***
Die letzten Fetzen seines Traumes klammerten sich unter Wessels geschwollenen Augen fest. Er war nicht imstande, sich zu bewegen. Seine Seele wohnte wieder in seinem Leib, aber wie ein Gast in einem fremden Haus bewegte sie sich unsicher und mochte sich mit nichts verbinden. Und weil sie sich noch mit nichts in seinem Leib zu verbinden vermochte, konnte sie ihn auch nicht bewegen, bis sie mit einem Schlag ganz in ihn zurückfuhr, ihn bis zu den Fingerspitzen mit Leben erfüllte, den Körper wie einen Bogen spannte und vom Lager schleuderte.
Der Sturz machte Wessel endgültig wach. Das Gefühl geflogen zu sein, tobte noch in ihm. Sein Magen hob sich, flatternd wie ein Phönix, und er erbrach sich auf den Boden seiner Schlafkammer.
So war es immer, wenn er von seiner Reise zurückkehrte.
Eine ganze Weile lag er noch da, wartete bis der kalte Schweiß trocknete und die zuckenden Muskeln sich beruhigten. Währenddessen erinnerte er sich an den ungewöhnlichen Verlauf der Schlacht und an den Oberhuser . Er würde ihm sicher bald wieder begegnen, ob am Tage oder in der Nacht.
Langsam gewöhnte sich seine Seele wieder an das Gehäuse des Leibes, die Muskeln gehorchten wieder. Die Wärme des Lebens floß zurück in seinen Leib.
Vorsichtig stand er auf, ging zum Tisch, setzte sich und nahm etwas Brot zu sich.
Langsam hörten seine Glieder auf zu zittern.
Von draußen drangen laute Rufe zu ihm herein.
Er stand auf, ging zu einem der Fensterlöcher und schob den Lappen beiseite, der die Sicht nach draußen versperrte. Menschen liefen eilig in Richtung Marktplatz. Es musste etwas passiert sein. Er warf sich seinen Umhang über und verließ das Haus. Schon als er noch mehrere Straßen weit vom Marktplatz entfernt war, hörte er lautes Rufen und Geschrei. Ein undeutliches Gefühl der Angst beschlich ihn, und er verfiel in einen eiligen Lauf.
Er erreichte den Markt.
Der Platz war schwarz von Menschen, die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein. Frauen drückten ihre Kinder an sich, Väter versuchten im Gedränge, ihre Familien zusammenzuhalten, alles lief wild durcheinander, dazwischen versuchten einige besonnene Bürger, die in Panik Geratenen zu beruhigen. Umsonst. Auf der Mitte des Marktes ballte sich die Menge zu einem Pulk. Es schien Wessel, dass sie sich um etwas herum scharrten.
Als er sich, beharrlich drängend, durch die Mauer von Menschen gekämpft hatte, sah er, dass Leichen auf dem Boden lagen. Drei männliche Leichen um die sich die Menschen scharrten, und gerade kam ein Karren und lud zwei weitere Leichen ab.
Jetzt hörte er das Wort, welches die Ursache der Unruhe zu sein schien.
Pest.
"Es ist die Pest", schrie ein Mann neben ihm, "die Juden haben uns die Pest gebracht."
Ein anderer pflichtete ihm bei: " Laßt sie uns verbrennen."
Der Mann, der das Wort
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