Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
möchte einfach, dass alles beim Alten bleibt … Bis die Schule zu Ende ist, meine ich. Aber jetzt … im Moment ist alles bestens, verstehst du? Ich bin wunschlos glücklich.«
Amy hat aufgehört zu hacken. Ich betrachte ihre Hände, denn ich ahne, wie sie gerade guckt, und es wäre mir zu peinlich, sie anzuschauen.
»Ich liebe dich so sehr, Evie«, sagt Amy, denn Amy sagt solche Sachen. Ganz direkt. Unverblümt.
Ich starre die Pilze an, die sie gerade fertig geschnitten hat. »Ich weiß«, sage ich, denn Amy versteht, was ich damit meine.
»Vielleicht sollte ich trotzdem ein brennendes Verlangen nach einem Sportwagen entwickeln«, sage ich. »Damit ich Miss Winters etwas erzählen kann.«
Amy lacht und wendet sich dem Pak Choi zu.
Wir müssen etwas erledigen , sagt der Drache, als ich im Dunkeln die Augen aufschlage.
Ich falle fast aus dem Bett, weil er so drängend klingt, und in der Eile komme ich auf der Gartenmauer ins Stolpern. Ich falle auf ein Knie, kralle meine Finger in die Mauerfugen, versuche schwankend, das Gleichgewicht zu halten. Der Drache zischelt aufgebracht. Ich hocke da, obwohl ich weiß, dass ich jetzt nicht mehr abrutschen kann, und warte keuchend ab, bis sich mein Herzschlag beruhigt hat. Als ich langsam aufstehe, spüre ich den bebenden Nachhall des Adrenalinstoßes. Dann lasse ich mich vorsichtig auf den Boden hinab.
Wir gehen schweigend durch den Wald und auf dem Treidelpfad bis zur Straße.
Die Nacht ist bewölkt, die Luft taufeucht. Wegen des Laubs sind die Bürgersteige gefährlich glitschig.
»Wohin gehen wir?«, flüstere ich. »In dieser Richtung gibt es nichts. Nur Häuser.«
Der Drache schweigt.
Wir biegen in eine Gasse ein und erreichen einen Pfad, der hinter Reihenhäusern verläuft. Als der Drache auf meinem Arm nach oben zu krabbeln beginnt, bleibe ich stehen und erblicke einen gepflegten Garten mit akkurat angelegten Blumenbeeten und gestutzten Sträuchern, und dort, an einer Wand, lehnt achtlos das nagelneue, supercoole Mountainbike von Sonny Rawlins.
Er hat es am Fallrohr angeschlossen – wirklich! Als ob das jemanden abhalten würde. Ich schließe mein Fahrrad nie an, aber es steht auch im Garten, zwischen Zaun und Schuppen, und wird von den Bäumen verdeckt, und deshalb kann man es nicht sehen. Sonny Rawlins stellt sein Fahrrad natürlich so hin, dass jeder es bewundern kann. Ist ja klar.
»Was tun wir hier?«, zische ich den Drachen an, der sich auf meiner Handfläche niederlässt wie auf einem Thron.
Du hast Fleisch in der Tasche , sagt der Drache.
Ich betrachte verständnislos sein selbstzufriedenes Gesicht.
Hol das Fleisch heraus , sagt der Drache streng.
Ich fasse erst in die linke, dann in die rechte Tasche. Endlich begreife ich, was der Drache meint: den halb aufgegessenen Hamburger, den ich gestern eingesteckt habe.
Ich hole ihn verdutzt heraus, frage mich, ob Drachen ebenso gern Hamburger essen wie Menschen. Das würde mich überraschen. Beim Anblick des grau angelaufenen Fleisches im labberigen Brötchen verziehe ich das Gesicht. Ich versuche, die Serviette mit einer Hand abzupulen, weil ich den Drachen nicht stören will, der es sich auf meiner anderen Hand gemütlich gemacht hat. Doch er springt auf die Hand mit dem Hamburger … und packt das kalte Fleisch mit den Klauen und beschmiert seine Hinterläufe und den Schwanz damit.
Du kannst mir später beim Waschen helfen , lässt der Drache mich wissen, und er klingt angewidert.
Ich starre ihn ungläubig an.
Steck den Rest wieder ein.
Der Drache kauert sich auf die Hinterbeine wie eine Katze vor dem Sprung. Dann saust er durch die Luft und landet genau auf dem Hinterreifen von Sonny Rawlins’ Fahrrad.
Ich stehe wie erstarrt vor der Gartenpforte. Ich wage weder, den Drachen zurückzurufen, noch traue ich mich, über die Pforte zu klettern und zu ihm zu gehen.
Der Drache dreht sich zu mir um, betrachtet mich feierlich und mit stolz geschwellter Brust. Dann lächelt er so breit, dass seine nadelspitzen Zähne blitzen … und schlägt sie in den Reifen. Und wieder. Und wieder. Und auch noch in den Vorderreifen. Danach springt er auf die Lenkstange, seine messerscharfen Krallen klackern über das Metall, zerkratzen den Lack. Dann schlägt er die Zähne in den Bremsschlauch. Zu guter Letzt klettert er auf die Gangschaltung und fummelt in einer der kleinen Öffnungen herum.
»Rasch, rasch … Hauen wir ab. Los, hauen wir ab«, sage ich flüstend zu mir selbst, und mein Puls geht so
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