Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
schnell, dass ich mich an der Pforte festhalten muss, um nicht umzufallen.
Schließlich zieht der Drache die Klauen aus dem Kasten mit der Gangschaltung und versenkt seine Zähne in einem Kabel, das er herausgezogen hat. Mir ist nicht bewusst, dass er fertig ist, da saust er schon wieder auf mich zu.
Doch er ändert mitten im Sprung die Richtung und landet auf einem schwarzen Müllbeutel, der neben der Mülltonne liegt. Ich schaue zu, wie der Drache das Plastik aufreißt, reißt und reißt, bis der Boden von schwarzen Plastikfetzen und Abfall bedeckt ist.
Endlich springt er wieder zu mir. Ich strecke ihm eine Hand hin. Sobald ich seine Klauen auf den Fingerspitzen fühle, nehme ich die Beine in die Hand und renne zur Gasse und von dort auf die Straße, muss aber nach nicht einmal hundert Schritten anhalten. Ich biege in eine andere Gasse ein und schnappe nach Luft. Der Drache krabbelt auf meine Schulter, während ich eine Faust gegen die Brust drücke und versuche, flacher zu atmen. Auf einmal habe ich Magensäure im Mund und kämpfe hustend und spuckend gegen den Brechreiz an.
Warum so eilig? , fragt der Drache gelassen. Du hast keinen Grund, so zu rennen. Auch das gehört zu unserem Vertrag. Ich werde dich nie in Gefahr bringen.
Ich würde gern fragen, welchen Vertrag der Drache meint, denn ich kann mich nicht erinnern, etwas unterschrieben zu haben, aber dann bekomme ich meine Übelkeit endlich in den Griff und halte den Mund, um sie nicht wieder heraufzubeschwören.
Wir gehen zum Fluss , sagt der Drache. Diese Unternehmung war überaus erfolgreich. Nun musst du dich beruhigen, damit du gut schlafen kannst.
Fledermäuse sind unterwegs: Sie flitzen schemenhaft und so schnell wie Schwalben über dem Ufer hin und her. Wir sitzen auf der Kante der kaputten Mauer, ganz in der Nähe unseres Hauses, und betrachten das träge Wasser des Kanals. Plötzlich kommt Hektik unter den Fledermäusen auf, und sie schießen davon.
Auf dem anderen Ufer taucht ein Fuchs aus dem Schilf auf. Er dreht sich zu mir um, und ich bilde mir ein, dass er mir zuzwinkert. Vielleicht würde er sogar grinsen, aber er hat eine traurige, kleine Wühlmaus im Maul. Dann trottet er in das Brombeergestrüpp.
Siehst du? , sagt der Drache. Wer weise jagt, der muss nicht rennen.
»Füchse müssen sowieso nicht wegrennen«, erwidere ich und reibe mürrisch meine schmerzende Brust. »Denn sie sind viel größer und stärker als alle anderen Tiere am Fluss.«
Das würde einem Fuchs nicht helfen, wenn er hinterrücks von einem wütenden Nerz angegriffen werden würde. Nerze sind nicht sehr groß, aber sowohl wild als auch gerissen. Sie jagen planvoll und verfolgen geduldig ihre Beute. Sie sind zu allem entschlossen.
»Hätte ich verhindern müssen, dass du dich für mich an Sonny Rawlins rächst?«, frage ich seufzend.
Der Drache drückt seine Klauen in meinen Oberschenkel. Nein!
Das klingt weder nach Ausruf noch Einwand, und es ist auch kein Schrei, aber es schwingt etwas Leidenschaftliches und Unbedingtes darin mit.
Ich betrachte die Augen des Drachen, die den nächtlichen Nebel über dem Fluss reflektieren. Im Schwarz der großen Pupillen scheinen sich Schlieren zu bilden wie bei Öl auf dunklem Wasser.
Ich bin dein Beschützer , sagt der Drache. Das ist der Kern unseres Vertrags. Ich bin bei dir, damit du wieder frei sein kannst.
Ich reibe meine Nasenwurzel. Nachdem ich so gerannt bin, habe ich auf einmal schreckliche Kopfschmerzen. »Keine Ahnung, was du da redest. Welcher Vertrag? Frei wovon?«, fauche ich.
Du hast mich herbeigewünscht , sagt der Drache. Und indem du mich so herbeigewünscht hast, wie ich bin, bist du einen Vertrag eingegangen – allein durch deinen Wunsch nach einem machtvollen Omen. Weder stärker noch schwächer als erforderlich.
Vermutlich ist es normal, dass Drachen in Rätseln sprechen. So wie sie alte Hamburger zum Glück doch nicht lecker finden – alles andere wäre auch ziemlich undrachenhaft. Aber dieses rätselhafte Geschwafel kann einem manchmal ziemlich auf die Nerven gehen.
»Ich verstehe dich nicht«, sage ich.
Der Drache schaut mich unverwandt an. Auch das ist Teil des Vertrags.
Ich verdrehe die Augen zum Himmel und stoße einen Seufzer aus, der zu einem Husten wird, das meine Kopfschmerzen wiederum fast bis zur Migräne steigert. »Ich gebe auf.«
Der Drache lächelt – natürlich geheimnisvoll. Wir kehren jetzt heim.
Wieder in meinem Zimmer, stopfe ich Kleider und Schuhe hinten in den
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