Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
befürchtet, ich könnte Nein sagen. Und er will nicht, dass ich das tue.
»Na, egal«, sagt Paul, indem er sich vom Stuhl abstößt. »Dann vielleicht am Wochenende.«
Als ich die Stirn runzele, wird mir bewusst, dass er dies für einen Ausdruck von Verärgerung halten könnte. Also setze ich ein Lächeln auf und klappe das Buch zu. »Bekomme ich gefüllte Reiswaffeln?«, frage ich und schiebe den Stuhl mit einem Ruck zurück.
Paul zuckt zusammen, lächelt aber. »Was immer du willst, mein Liebes«, sagt er liebevoll.
Ich grinse. »Echt? Dann futtern wir auch Käsekuchen und Pommes frites, und du erklärst Amy hinterher, warum ich keinen Appetit auf das Abendessen habe und mit Französisch nicht fertig geworden bin?«
Paul grinst. »Soll ich dir nicht gleich einen Ferrari kaufen? Wie wäre das?«
Ich neige den Kopf zur Seite, kneife die Augen zusammen. »Ich glaube, ich würde mich auch mit einem Käsekuchen zum Mitnehmen zufriedengeben«, sage ich.
Paul tut so, als würde er sich Schweiß von der Stirn wischen. Dann legt er mir einen Arm um die Schultern und führt mich zur Garderobe.
»Möchtest du deine blaue Jacke, Liebes?«, fragt Paul. »Die magst du am liebsten, nicht wahr?«
»Nee.« Ich ziehe die Nase kraus. »Ich latsche nicht extra dafür nach oben.«
»Dann häng sie nicht mehr oben auf!«, meckert Paul und verdreht die Augen, während er mir den Schal fest um den Hals schlingt.
Wir halten zuerst bei der Tankstelle, um wie versprochen die Reiswaffeln zu kaufen. Das tun wir immer. Amy will nicht, dass ich sie esse. Sie meint, die Waffeln seien reine Chemie, und vielleicht hat sie Recht. Paul und ich finden sie trotzdem lecker. Es ist eines unserer kleinen Rituale.
Paul stellt im Radio unseren Lieblingssender ein, singt aber ausnahmsweise nicht mit. Er schweigt und wirft mir immer wieder stumme Blicke zu. Also schweige ich auch und frage nicht mal nach unserem Ziel. Wir parken wie üblich beim Supermarkt und gehen danach in die Stadt. Als er kurz stehen bleibt, um tief Luft zu holen, nehme ich seine Hand und drücke sie fest. Paul lächelt mich an und erwidert den Druck. Dann betreten wir ein Geschäft für Künstlerbedarf, und er führt mich zu einer Wand, an der eine große Auswahl von Bilderrahmen hängt.
»Ich möchte, dass du mir bei einer schwierigen Entscheidung hilfst«, sagt er.
Seine Stimme verrät mir, dass wir genau deshalb hier sind, nur weiß ich beim besten Willen nicht, warum diese kleinen Holzteile ein so großes Problem darstellen.
»Geht es um ein Geschenk? Zu Oma Suzies Geburtstag?«, frage ich, weil Paul nichts weiter verrät. Ich weiß zwar, dass ich falschliege, aber da ich nicht mal die Spur einer Ahnung habe, hoffe ich, ihn mit dieser dummen Frage zum Reden zu bringen.
Er drückt meine Hand und sieht mich an, weicht meinem Blick jedoch aus. »Soll für uns sein«, sagt er leise. »Für dich und mich und Amy. Für das Wohnzimmer.« Er verstummt und betrachtet wieder die Rahmen. »Ich will ein großes Foto aufhängen. Und ich brauche zwei kleinere Rahmen, die ich auf den Couchtisch stellen kann.« Sein Blick gleitet zu den Regalen mit den kleinen Bilderrahmen zum Aufstellen. »Ich will das Foto aufhängen, das der Kellner von dir, Amy, Onkel Ben und mir bei deinem diesjährigen Adoptionsgeburtstag gemacht hat«, sagt er und verstummt wieder. Er starrt die Rahmen an und steht da, steht einfach nur da.
Ich lehne mich gegen ihn, und mein Gewicht scheint die nächsten Worte aus ihm herauszupressen. »Ich will ein Foto von Adam auf dem Couchtisch. Und das Familienfoto, das Onkel Ben kurz vor dem Unfall gemacht hat. Ich will Fotos meiner Kinder im Wohnzimmer sehen.«
Ich spüre die Tränen in seiner Stimme und in meinen Augen und klammere mich fest an seinen Arm.
»Ich möchte, dass du die Rahmen aussuchst, Evie«, sagt Paul leise, und mir wird bewusst, dass er seinen Blick auf mich gesenkt hat – mich tatsächlich anschaut und nicht nur ins Leere starrt wie während des gesamten Vormittags, als er sich alles überlegt haben muss.
»Müsstest du das nicht mit Amy …«
»Du kennst Amys Geschmack. Du weißt, was ihr gefällt«, sagt Paul, und er klingt fast wütend. »Es wird ihr bestimmt gefallen, weil ich es mit deiner Hilfe aussuche, Evie. Ich will nicht darüber reden, diskutieren oder verhandeln. Ich will Fotos meiner Kinder. Und ich will, dass meine Tochter mir bei der Auswahl der Rahmen hilft.«
Ich schaue zu ihm auf, weiß nicht, was ich sagen soll. Ein
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