Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
unten geredet wird. Der Tonfall lässt mich innehalten. Dann schleiche ich weiter und setze mich auf die oberste Treppenstufe.
»Versteh mich nicht falsch, Ben. Ich will nicht behaupten, dass ich mich nicht freue. Die höhere Gerechtigkeit hat so manches bereinigt. Jedenfalls soweit das möglich ist.«
»Durch Feuer gereinigt«, sagt Amy mit einer so versonnenen Befriedigung, dass ich aufhorche. Ich klammere mich mit verschwitzten Fingern an das Geländer.
»Die Welt ist auf jeden Fall ein besserer Ort ohne dieses Pack «, sagt Paul, und er speit das Wort förmlich aus. »Ich werde einen Teufel tun, mich dafür zu entschuldigen, dass ich hocherfreut bin. Evie nimmt es gut auf, und daher …«
»Ich glaube, sie ist erleichtert«, sagt Amy leise.
»Und mit Recht. Immerhin leben sie, nüchtern betrachtet, ganz in der Nähe. Nein … lebten in der Nähe.«
»Ja, aber genau das ist der Punkt. Warum ist die Polizei nicht neugieriger? Keine einzige Frage danach, wo wir uns in der betreffenden Nacht aufgehalten haben …«
»Sei kein Idiot, Paul«, unterbricht Onkel Ben ihn.
Paul seufzt, und ich höre ein dumpfes Geräusch, als wäre er beim Aufstehen gegen den Tisch gestoßen. »Kommt mir nur komisch vor, mehr nicht. Vielleicht versuchen sie ja …«
»Was denn? Wollen sie uns etwa in trügerischer Sicherheit wiegen, um dich auf frischer Tat ertappen zu können? Und wobei? Beim Verbergen leerer Benzinfässer in deinem Garten? Du bist doch sonst immer diejenige, die sich zu viele Sorgen macht, Amy – sag deinem Mann, er soll nicht so überängstlich sein.«
Amy murmelt etwas, und Paul knurrt.
»Ich bin sicher, dass sie sofort hier gewesen wären, wenn sie verdächtige Hinweise gefunden hätten. Aber offenbar gab es keine. Sie kennen die Brandursache, und Anzeichen für Brandstiftung scheint es nicht zu geben. Sie werden festgestellt haben, dass die Türen nicht aufgebrochen wurden. Dass kein Fenster eingeschlagen wurde. Dass weder Treibstoff noch Feuerzeugbenzin versprüht wurden. Nichts Verdächtiges, nur zwei ekelhafte Menschen, die ihrem Leben aus Versehen ein Ende gesetzt haben. Die Polizei bedauert das bestimmt kaum weniger als wir.«
»Kann sein«, sagt Paul widerwillig. »Vielleicht sind sie froh, den Brand als Unfall einordnen zu können, nachdem sie nichts Verdächtiges entdeckt haben.«
»Hast du etwa Angst, dass sie Fingerabdrücke entdecken, Paul?«, fragt Onkel Ben neckisch. »Du hast wohl noch nie von Gummihandschuhen gehört, was?«
»Sei nicht so gemein, Ben«, faucht Amy.
»Warum plagt dich dein Gewissen, obwohl es rein ist?«
»Lass den Blödsinn, Ben«, sagt Paul.
Ich sehe vor mir, wie Onkel Ben die Augen verdreht, als er erwidert: »Mir macht es jedenfalls kein bisschen zu schaffen, dass wenigstens einmal im Leben ein Unrecht gesühnt wurde. Die Welt hat selbst für Gerechtigkeit gesorgt. Ich weiß verdammt gut, dass ihr mich um Unterstützung gebeten hättet, wenn ihr eine solche Tat geplant hättet. Und ihr wisst verdammt gut, dass ich euch sofort geholfen hätte.«
Unten tritt Stille ein. Ich sehe durch die angelehnte Tür zum Wohnzimmer, wie Amy den eleganten Messingrahmen mit dem letzten Bild Adams vom Couchtisch nimmt, ein Bild, zwei Tage vor dem Moment aufgenommen, nach dem keine weiteren Fotos mehr möglich waren. Amy wischt mit einem Ärmel über das Glas, zuerst in die eine und danach in die andere Richtung. Wie das Drehen am Ring ist auch dies ein nervöser Tick. Das Foto ist nie staubig, denn es wird von Amy und Paul so oft zur Hand genommen, dass sich kein Staub darauf ablagern kann.
»Aber ihr habt es nicht getan, und ich habe es nicht getan … Und unsere gesammelte Feigheit ist zum Glück belohnt worden. Wir haben bekommen, was wir uns gewünscht haben – was Evie braucht –, und keiner von uns musste sich dafür die Hände schmutzig machen.«
»Trotzdem lässt mich das Gefühl nicht los, dass die Sache noch nicht ausgestanden ist«, sagt Paul müde. »Dass uns das dicke Ende noch bevorsteht.«
»Um Himmels Willen, Paul, freu dich einfach. Das ist ein Ende wie im Märchen. Was willst du mehr?«
Ich schleiche eine Stufe tiefer, dann noch eine und lehne mich weit vor. Jetzt kann ich auch den zweiten, zum ersten passenden Bilderrahmen hinten auf dem Couchtisch sehen, darin ein Porträt von Adams Familie – alle sind auf dem Bild versammelt. Und dahinter, an der Wand, sehe ich das Foto meiner Familie.
Auf dem Kühlschrank in der Küche klebt meine neueste
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