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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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wenn ich die Papiere erst morgen bekäme; denn zunächst würde man Alexandres Tod bestimmt für einen Unfall halten, und wenn die Polizei wirklich etwas merkte, wäre ich doch schon jenseits der Grenze.
    Als ich in der Rue des Forneaux ankam, war Gustave schon zu Hause. Er und Dedé saßen gerade beim Essen. Die Luft in der engen Mansarde war beinahe unerträglich; es roch nach verbranntem Fett und nach Gustaves verschwitzten Kleidern.
    Gustave schaute nur flüchtig auf, als ich eintrat, dann beugte er sich wieder tief über seinen Teller. Er war siebenundvierzig, nur fünf Jahre älter als ich, aber er sah aus wie ein Sechziger. Allerdings nur im Gesicht; im übrigen besaß er Bärenkräfte. Sie nannten ihn alle »das Chamäleon«, weil er die merkwürdige Angewohnheit hatte, plötzlich eins seiner Augen langsam zur Seite gleiten zu lassen, während er einen mit dem andern starr anblickte.
    »Setz dich doch«, sagte Dedé und deutete auf die Kiste, die mir zum Sitzen diente, »die Nudeln sind noch warm genug.«
    Ich setzte mich und fing schweigend an zu essen. Dedé kochte ausgezeichnet, und mir hatte bis jetzt alles geschmeckt; nur war es besser, ihr beim Kochen nicht auf die Finger zu schauen.
    Gustave war fertig, schob den Teller zurück und wischte sich mit der Hand über den Mund.
    »Du willst fort?« fragte er und drehte sich eine Zigarette.
    »Ja.«
    Dedé schnupperte zu mir her.
    »Hast du getrunken?«
    »Nur ein Glas Moulin à Vent. In der Rue de la Harpe!«
    Gustave bohrte mit der Klinge seines Taschenmessers in den Zähnen.
    »Hast du Pierre getroffen, und hat er dir die Papiere versprechen?«
    »Bis morgen mittag, ja.«
    »Du wirst also heute nacht noch hier schlafen?«
    »Wenn es dir und Dedé recht ist, ja. Aber ich werde ziemlich spät heimkommen.«
    Er legte das Messer weg und zündete sich die selbstgedrehte Zigarette an. Sinnend blickte er mich an.
    »Du hättest natürlich auch noch länger bleiben können, aber wir sind ganz froh, daß du gehst. Es ist sehr eng hier, und außerdem hat Dedé Angst, du könntest uns irgendeine dumme Sache einbrocken.«
    Er schielte mich lauernd an. Als ich nichts erwiderte sagte er:
    »Übrigens trifft sich das ganz gut. Ich habe ebenfalls heute nacht zu tun. Wir können uns dann ja später bei Pierre treffen und zusammen heimgehen. Wer zuerst da ist, wartet auf den andern.«
    Dedé stand seufzend vom Tisch auf.
    »Und ich sage dir noch mal, Gustave, daß ich es satt habe. Zum Leben reicht es doch.«
    Gustave gab ihr keine Antwort. Ich war überrascht, daß er ausgerechnet heute auch etwas vorhatte.
    »Gut«, sagte ich, »später bei Pierre.«
    Die Möglichkeit, daß einem von uns etwas zustoßen könnte, wurde nicht erwähnt.
    Gustave hängte seine Jacke über die Stuhllehne und ging hinaus. Draußen auf dem Speicher hatte er einige Koffer stehen. Zufällig sah ich, daß er etwas Schweres in seiner Jackentasche hatte, und als auch Dedé für einen Augenblick das Zimmer verließ, zog ich rasch eine Pistole aus seiner Tasche. Es war eine belgische FN, Kaliber 7,65. Das Magazin war voll.
    Rasch ließ ich die Waffe wieder in die Tasche gleiten. Ich hatte Gustave schon einige Male gebeten, mir eine Pistole zu besorgen, aber er hatte immer gesagt, es sei zur Zeit an Waffen nicht ranzukommen.
    Ich schaute auf meine Armbanduhr. Man hatte sie mir bei meiner Verhaftung vor zehn Jahren abgenommen und erst wieder ausgehändigt, als ich aus dem Zuchthaus entlassen wurde. Eigentlich hätte ich sie verkaufen und Dedé das Geld geben müssen.
    Es war noch nicht ganz halb acht Uhr. Also noch viereinhalb Stunden!
    Als Gustave wieder hereinkam, stand ich auf.
    »Ich haue jetzt ab. — Bist du allein, Gustave?«
    »Nee — wir sind zu viert. Kleine Sache nur. Und ganz ungefährlich.«
    »Sei froh«, nickte ich ihm zu.
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Es bringt auch fast nichts ein.«
    Als ich das Haus verließ, schlug es drüben im Kinderhospital gerade halb acht.
    Um acht Uhr begann der Klubabend, an dem Alexandre regelmäßig teilnahm. Ich hatte ihn heute morgen schon in sein Büro in der Avenue Gabriel gehen sehen; denn ich wollte sicher sein, daß er heute nicht etwa ausgerechnet krank oder verreist war.
    Ursprünglich hatte ich mir überlegt, daß es am besten wäre, wenn ich gegen elf Uhr nach Issy hinausführe. Dafür hatte ich mir auch die zehn Francs übrig behalten. Ich hatte nun aber keine Lust gehabt, noch mit Gustave und Dedé zusammen zu sein. Länger als höchstens

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