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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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zuckt beim Reden. Sie atmet tief ein, gequält. »Ah, das tut weh. Es tut weh. Aber dann … dann tut es plötzlich nicht mehr weh.«
    »Was stellt er mit dir an?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Weiß nicht, kann’s nicht sagen. Dann ist die Stimme wieder da, in meinem Kopf, nur dass es jetzt wie ein Traum ist, als könnte ich fühlen, dass etwas mit mir geschieht, aber in Wirklichkeit geschieht es gar nicht.«
    »Was träumst du?«
    »Dass er mir das Kleid auszieht und mich nimmt, wie alle es tun. Dann sagt mir die Stimme, dass ich schlafen soll, die Augen zumachen, schlafen …« Ihre Stimme wurde bei diesen Worten leiser, und sie sank tiefer in den Stuhl, als wäre sie allein von der Erinnerung an die Hypnose wieder hypnotisiert, denn ich bin mir sicher, dass es das ist, was mit ihr geschehen war. Es bedurfte eines harten Schlages, um sie wieder so weit zur Besinnung zu bringen, wie sie vorher gewesen war.
    »Was geschah dann?«
    »Ich schlief ein. Er ging weg.«
    Mehr bekam ich nicht aus ihr heraus, und deshalb erteilte ich ihr auf hypnotisierende Weise meine eigenen Anweisungen, um ihre lose Zunge daran zu hindern, meine Angelegenheit auszuplaudern. Anschließend weckte ich sie, bezahlte sie und schickte sie mit Collins in die Stadt zurück. Es konnte mir gar nicht schnell genug gehen, hier wieder in der Stille dasitzen zu können und dies aufzuschreiben.
    Für mich existiert jetzt keinerlei Zweifel mehr. Es gibt einen Vampir in der Stadt. Die Hure hat mir einige Hinweise bezüglich seines Äußeren und seines Auftretens gegeben, und ich werde noch mehr erfahren, und wenn ich dazu jedes leichte Mädchen in jedem Bordell der Stadt mesmerisieren muss. Ich werde ihn finden.

4
     
    Ein Vampir, du lieber Gott, es ist ein Vampir! Ardeth legte den Kopf auf die schmutzige Decke und versuchte, Klarheit in ihre Gedanken zu bekommen. In der Zelle allein gelassen, vom Blutverlust und dem Schock benommen, war sie auf die Pritsche an der Wand gekrochen und hatte den Blick mit großer Willensanstrengung von dem Insassen der Nachbarzelle abgewandt gehalten. Auch in Gedanken von ihm abzulassen, war ihr nicht so gut gelungen. Es ist kein Vampir, sagte ihre Vernunft. Es handelt sich um einen Verrückten, der denkt, er sei ein Vampir.
    Es gibt keine Vampire, sie existieren nur als Metapher. Die Stimme des Professors in ihrem Kurs über Viktorianische Prosa hallte in ihren Ohren nach. Sie erinnerte sich daran, wie sie seine Sätze für das Examen auswendig gelernt hatte: »Vampire repräsentieren den Ausbruch der unterdrückten Libido, die Unheil anrichtet, was den Tod und zügellose Sexualität zur Folge hat.« Sie hatte jedenfalls noch nie von dunkelhaarigen, gut aussehenden mitternächtlichen Liebhabern geträumt. Bist du dir da ganz sicher?, fragte die leise Stimme in ihrem Bewusstsein, während sie sich daran erinnerte, wie sie einmal an einem Kinoplakat vorübergegangen war und Sara lachend gesagt hatte, der »lost boy« mit dem schwarzen Haar könnte sie jederzeit in den Hals beißen, wenn ihm danach war.
    Wir sagen solche Dinge, dachte sie plötzlich, weil wir wissen, dass sie nie Realität werden. Weil es nur eine Projektion unseres eigenen Unterbewusstseins ist. Weil es so etwas wie Vampire nicht gibt.
    Aber Metaphern warfen keinen Schatten oder hinterließen blaue Flecken auf der Innenseite ihrer Arme.
    Und Menschen, selbst wenn sie den Verstand verloren hatten, besaßen keine Zähne, welche die Haut durchbohren konnten, ohne sie aufzureißen, oder Augen, die das rote Licht brachen.
    Damit war sie wieder am Ausgangspunkt ihrer Überlegungen, gefangen zwischen dem Unmöglichen und dem Unvorstellbaren. Ihr Verstand kapitulierte, unfähig, das Chaos zu organisieren oder allen Facetten ihrer Furcht einen Namen zu geben. Sie schloss die Augen und ließ zu, dass die sie umgebenden Schatten sie einhüllten.
    Viel später schwebte sie zurück in eine Art Wachzustand, blinzelte in dem schwachen Licht, das in der Mitte des Raums leuchtete. Sie hatte gerade angefangen, darüber nachzudenken, wo sie sich befand, als eine Bewegung zu ihrer Linken ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
    Der Vampir stand in der Mitte seiner Zelle und starrte nach oben, auf die Tür zum Keller. Während Ardeths benommenes, desorientiertes Bewusstsein den Versuch unternahm, für seine Existenz eine Erklärung zu finden, warf er den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, und sein Mund öffnete sich zu einem langen, tonlosen Heulen.
    Dies ist ein Traum,

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