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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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dachte Ardeth, immer noch halb benommen. Ich bin sicher, dass all dies in meinem Traum einen Sinn ergibt. Dann schlief sie wieder ein.
    Als sie erneut erwachte, konnte sie die Realität nicht länger leugnen. Ihr Magen hatte sich vor Hunger verkrampft, ihre Blase schmerzte, und der Arm, auf dem sie im Schlaf gelegen hatte, war taub.
    Sie setzte sich langsam auf, rollte die Schultern, um die Steife in ihrem Nacken zu mildern. Wie spät ist es wohl?, fragte sie sich und sah auf ihre Uhr. Irgendwann in dem Handgemenge der vergangenen Nacht war der Stundenzeiger abgebrochen, es war zwanzig nach irgendwann. Es musste Nachmittag sein, sonst wäre sie nicht so hungrig.
    Der Gedanke an Essen erinnerte sie an die stumme Präsenz in der Zelle nebenan. Vorsichtig blickte sie nach links. Ein absurder Gedanke stieg in ihr auf. Komisch, dachte sie, ich hab immer angenommen, die würden in ihren Särgen schlafen, flach auf dem Rücken, mit gefalteten Händen. Der Vampir – du kannst ihn ruhig so nennen, sagte sie sich, das bedeutet ja nicht, dass du es glaubst – schlief auf seiner Pritsche, das Gesicht zur Wand und halb eingerollt, beinahe wie ein Embryo. Sie stand vorsichtig auf, den Blick argwöhnisch auf die schlafende Gestalt gerichtet. Das Fußeisen, das sie an einem seiner Knöchel sah, beruhigte sie kein bisschen. Sie wusste, dass die Kette lang genug für ihn war, um den Rand ihrer Zelle zu erreichen. Ihre Beine fühlten sich schwer und steif an, und ein paar Augenblicke stand sie reglos da, ehe sie den Mut aufbrachte, einen Schritt nach vorne zu tun. Ihre Knie versagten ihr nicht den Dienst, der Vampir regte sich nicht. Ardeth ging an den Rand ihrer Zelle und sah sich in ihrem Gefängnis um.
    Wände und Boden des Raumes bestanden aus unregelmäßig behauenem Stein. Im Licht der nackten Glühbirne, die von der Decke hing, sah es so aus, als wären sie früher einmal weiß getüncht gewesen. Jetzt konnte man nur noch weiße Spuren erkennen, die von dem Grau und dem Schmutz fast verschluckt wurden. An der Wand hinter der Pritsche, auf der der Vampir lag, glaubte sie, die Andeutung von dunklen Flecken sehen zu können. Sie wirkten alt, und Ardeth hoffte inständig, dass sie das auch waren.
    Die Treppe war bei Licht besehen nicht ganz so gefährlich, wie sie sich letzte Nacht angefühlt hatte, dennoch gab es kein Geländer. In dem Alkoven darunter konnte sie undeutlich irgendwelche Maschinen und Möbelstücke ausmachen, einige davon waren nicht nur von Schatten, sondern auch von Tüchern verhüllt.
    Insgesamt gab es acht Zellen, fünf in ihrer Reihe und drei an der anderen Wand, sie fingen gleich hinter dem Alkoven an. Alle, mit Ausnahme der ihren und der daneben, waren leer. Auf den mit der Wand verschraubten Stahlpritschen lagen keine Matratzen.
    Was ist das hier?, überlegte Ardeth. Ein verlassenes Gefängnis vielleicht, irgendwo außerhalb der Stadt. Sie inspizierte das Schloss an der Tür. Es war neu, das Metall glänzte spöttisch vor den verrosteten Gitterstäbe.
    Sie drehte sich um, lehnte sich an die Tür und starrte in ihre Zelle. Unter der Pritsche standen ein zugedeckter Plastikeimer und eine Rolle Toilettenpapier. Neugierig durchquerte sie die Zelle und kauerte sich hin, um den Eimer herauszuziehen. Sie hob vorsichtig den Deckel. Der Eimer war leer, aber ihr schlug unverkennbarer Uringestank entgegen.
    Herrlich, dachte Ardeth. Ich habe keinen Nachttopf mehr benutzt, seit ich drei Jahre alt war, auf Opas Farm. Sie starrte die Papierrolle einen Augenblick lang an. Das letzte Blatt war unregelmäßig abgerissen worden, so dass der verbliebene Rand zackig war.
    Sie glaubte nicht, dass Wilkens oder Roias den Kübel und das Papier mitgebracht hatten, also mussten sie bereits vorher unter der Pritsche gewesen sein. Offenbar war der Eimer schon mehr als einmal als Nachttopf benutzt worden. Und das bedeutete, dass sie nicht die erste Person war, die in dieser Zelle festgehalten wurde. Es war bereits jemand hier gefangen gehalten worden, und man hatte ihr – irgendwie wusste Ardeth, dass es eine Frau gewesen war – wahrscheinlich auch den Arm durch die Gitterstangen geschoben, damit der Vampir sich mit ihrem Blut vollsaugen konnte. Jemand, der jetzt nicht mehr hier war.
    Plötzlich überlief Ardeth ein Zittern, und sie stieß den Eimer und das Papier zurück und kroch auf die Pritsche. Sie zog die Knie an die Brust, schlang die Arme um die Beine und wünschte sich verzweifelt, wieder in Ohnmacht fallen zu können. Sie

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