Die Nacht von Granada
den Rahmen mit der aufgespannten Schweinsblase, die Schutz gegen Kälte bot, ein Stück zur Seite zu schieben und durch die Rillen des Fensterladens nach draußen zu spähen. Als sie nichts Auffälliges entdecken konnte, lief sie wieder zum Bett zurück und kuschelte sich noch einmal unter die warme Decke.
Wie eisig die Bergnächte in den Alpujarras sein konnten!
Im Schutz der Mauern von Granada hatten sie alle nicht die geringste Ahnung davon gehabt. Seitdem sie hier lebten, hatten sie jedoch lernen müssen, mit Kälte ebenso zurechtzukommen wie mit lang anhaltenden Stürmen oder schnell aufziehenden Wintergewittern, mit eingefrorenen Scheunentoren und bohrendem Hunger, wenn die Vorräte aufgebraucht waren und erst erhebliche Anstrengungen unternommen werden mussten, um neue zu beschaffen.
Keiner von ihnen war mehr wie früher.
Die Veränderung hatte niemanden verschont. Aber wenigstens hatten sie in den Monaten hier oben noch keinen Toten zu beklagen gehabt. Alle waren sie am Leben und gesund.
Lucia schob Fuego beiseite, der es sich wie beinahe jede Nacht zwischen Nuri und ihr bequem gemacht hatte und es dabei, wie ebenfalls fast jede Nacht, mit dem Platz, den er dabei für sich beanspruchte, ein wenig übertrieb. Der Kater maunzte, als sie ihn berührte, öffnete ein Auge, schloss es wieder, nachdem er erkannt hatte, wer sich da an ihm zu schaffen machte, und ringelte sich erneut ein, um noch eine weitere Runde zu schlafen.
Sie begann zu lächeln, als ihr Blick auf Nuri fiel.
Die Freundin lag auf dem Rücken, das Gesicht entspannt, die Arme nach oben, die Hände zu Fäusten geballt, wie es Säuglinge taten.
Wie glücklich sie aussah!
Bestimmt träumte sie wieder von Miguel, der sich bis zur Hochzeit im Obergeschoss des Nebenhauses bei Antonio, Djamila und Tante Pilar einquartiert hatte. Sobald die Schneeschmelze richtig eingesetzt hatte, wollten sie heiraten. Dann würde zwischen ihr und Nuri nichts mehr so sein wie bisher.
Saida war als Erste mit der ungewöhnlichen Verbindung einverstanden gewesen, gegen die sie früher mit allen Mitteln gekämpft hätte, während Kamal sehr viel länger gegrübelt und gezweifelt hatte, bis Tante Pilar ihn eines Tages zur Seite genommen und eindringlich auf ihn eingeredet hatte. Danach gab auch er seinen Segen, während Pilar unten an der Tür die Mesusa* anbrachte, die früher schon dem blauen Haus im ehemaligen Judenviertel über Jahre Frieden und Gesundheit geschenkt hatte.
Nun waren die drei Religionen des Buches wieder vereint.
Natürlich gönnte Lucia den beiden Verliebten ihr Glück von ganzem Herzen. Und doch gab es viele Nächte, wo Einsamkeit sich wie ein Bleigewicht auf ihre Seele senkte. Die Zärtlichkeiten und Umarmungen des jungen Paares, das nun keinen Hehl mehr aus seiner Liebe machen musste, empfand sie dann wie einen Stich ins Herz, und die unstillbare Sehnsucht nach Rashid, den sie für immer verloren hatte, war kaum noch zu ertragen.
Keiner der anderen wagte es, in ihrer Gegenwart seinen Namen in den Mund zu nehmen, nicht einmal Saida, die in der Abgeschiedenheit der Schlafkammer oft um ihren verlorenen Sohn weinte, oder Nuri, deren liebliche Züge schwermütig wurden, wenn sie an den toten Bruder dachte. Es war, als hätten sich alle insgeheim verbündet, um Lucia zu schützen, ein Bestreben, aus Zuneigung geboren, das ihr mittlerweile jedoch fast den Atem nahm, als so beklemmend empfand sie es. Immer wieder hatte sie sich vorgenommen, den Bann zu brechen und einfach über Rashid zu reden, doch jedes Mal, wenn sie es bisher versucht hatte, blieben die Worte ihr im Mund stecken, als wäre die Barriere, die es dabei zu überwinden ging, einfach zu hoch.
Dabei gab es auch andere Tage voller Ruhe und Gelassenheit, wo Lucia beinahe wieder etwas wie Glück empfinden konnte, etwa als sie und ihr Vater zusammen mit Miguel bei günstiger Witterung ein ganzes Stück bergab geritten war, um dessen Olivenhain in Augenschein zu nehmen.
Oder als das Kleine in Djamilas Leib zum ersten Mal so kräftig gegen die Bauchdecke getreten hatte, dass man von außen seinen winzigen Fuß erkennen konnte.
Vor allem aber, als Kamal zum ersten Mal wieder mit großer Vorsicht die rechte Hand ausstrecken konnte, ohne dabei sofort vor Schmerzen aufzuschreien. Sie war nicht mehr gerade, aber doch einigermaßen verheilt. Als Steinschleifer würde er niemals mehr arbeiten können. Das war für alle Zeit vorbei. Doch einen Schaufelgriff umfassen oder ein Maultier am Zügel
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