Die Nacht von Granada
selbst mehrfach gebrochene Knochen wieder von selbst in der alten Richtung zusammen. Pflegt ihn, seid gut zu ihm, damit auch seine Seele sich von den Strapazen erholt. Dann wird es ihm besser gehen.«
Er erhob sich ächzend.
»Ich muss zurück«, sagte er. »Meine Tochter liegt in den Wehen. Es gibt offenbar verrückte Seelen, die ausgerechnet in dieser Nacht des Schreckens auf die Welt kommen wollen – und eines davon ist mein Enkelkind.«
»Und der Schlafmohn?« Das kam von Pilar, die ihn zur Tür brachte, wo einer der vielen Söhne des Imam ihn in Empfang nahm, um den Hakim sicher nach Hause zu begleiten.
»Hier. Das sind kleine Schwämmchen, die Ihr mit der Tinktur aus diesem Gefäß tränkt und ihn dann ausaugen lasst.« Beides wanderte in ihre Hände. »Doch dabei ist größte Sorgsamkeit angebracht. Gebt Ihr ihm zu viel davon, könnte es sein, dass er gar nicht mehr aufwacht. Verabreicht Ihr ihm das Mittel hingegen zu oft, gewöhnen sich Körper und Seele daran und er wird zum Süchtigen, der die Welt nicht mehr versteht und nur noch in seinen wirren Träumen lebt.«
»Wir werden sehr sorgfältig sein«, versprach Pilar und wollte ihm zwei Silbermünzen zustecken, die anzunehmen der Hakim jedoch verweigerte.
»Die Freunde des Imam sind auch meine Freunde«, sagte er. »Möge der Allmächtige seine gütige Hand über euch alle halten!« Damit trat er hinaus in die Nacht.
Wo blieb Miguel?
Ohne die Maultiere konnten sie nicht aufbrechen. Doch seitdem Lucia und Rashid ihnen berichtet hatten, was geschehen war, schien jeder Augenblick zu zählen.
Der Inquisitor war tot – wenn herauskäme, wer da seine Hände im Spiel gehabt hatte, sie wären alle miteinander Todeskandidaten!
»Wird er noch kommen, dein Christenfreund?«, sagte Saida. »Oder erweist er sich als echter Neffe seines Onkels und lässt uns im letzten Moment doch im Stich? Er hätte nichts zu befürchten, wenn er in Granada bleibt. Wir dagegen …«
»Sei still!«, rief Nuri. »Miguel wird kommen. Niemals würde er uns betrügen, das weiß ich. Vielleicht hat man ihn unterwegs irgendwo aufgehalten. Oder man hat ihm etwas angetan.« Ihr liebliches Gesicht war bleich vor Sorge.
»Ach, ich wünschte, mein Sohn Rashid wäre noch da, um uns zu schützen!« rief Saida. »In seiner Nähe würde ich mich viel sicherer fühlen.«
Lucia und Nuri tauschten einen raschen Blick. Dass sie Nuri nichts von ihr und Rashid erzählt hatte, stand noch immer wie eine dicke, hohe Mauer zwischen ihnen. Doch beide wussten, dass jetzt anderes wichtiger war, wenn sie überleben wollten.
Trotzdem war alles in Lucia traurig und kalt, denn nicht einmal einen Kuss zum Abschied hatte es gegeben, lediglich eine kurze, verstohlene Berührung ihres Rückens und ein letzter, tiefer Blick, dann war er fort gewesen.
Die Söhne Allahs warteten auf ihn. Jetzt gehörte ihr Liebster den schwarzen Kriegern.
Würde die Erinnerung alles sein, was ihr von ihm blieb?
Sie musste sich rasch abwenden, um ihren Schmerz zu verbergen.
Währenddessen hatte Tante Pilar alles für den Aufbruch vorbereitet. Ihre klare Stimme teilte jedem die verschiedenen Aufgaben zu; keiner, der sich ihr nicht klaglos gefügt hätte. Sogar Fuego, den sie beim Verlassen des Hauses im Albaycín im letzten Augenblick in ihre Satteltasche gestopft hatte, als er kläglich maunzend neben ihr stand und sie mit großen Augen ansah, schien genau zu verstehen, dass er jetzt keinen Unsinn anstellen durfte, wenn er mitwollte – wohin auch immer.
Lucia ließ die Tante nicht aus den Augen, und sie glaubte zu spüren, was in ihr vorgehen musste. War die Verantwortung, die Pilar sich aufgeladen hatte, nicht zu schwer?
Ich werde dir beistehen, dachte sie aus einem Gefühl großer Zuneigung heraus und fühlte sich plötzlich wie befreit. Wann immer du mich brauchst!
Dann war Miguel endlich da.
Als Nuri ihm an der Schwelle um den Hals fiel, ohne sich um die anderen zu kümmern, schien sein Gesicht zu leuchten.
»Maultiere in dieser Nacht?«, sagte er mit einem schelmischen Grinsen. »Keine ganz leichte Aufgabe! Sogar Onkel Gaspar wäre daran um ein Haar gescheitert – aber hier sind sie!«
Keineswegs perfekte Tiere, wie Lucia bemerkte. Aber immerhin besser als gar nichts. Drei Stuten und ein jugendlicher Hengst, der ausschlug, sobald man ihm zu nahe kam.
Wer sollte den wohl reiten?
»Nuri und ich«, sagte Miguel schnell. »Denn ich kenne mich am besten mit seinem Charakter aus. Meine lammfromme Rosita soll Kamal
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