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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Leute wie den Lächler gibt, wäre es ein Verbrechen, ein Leben mit Selbstmord zu verschwenden, das man gegen Barbaren seinesgleichen einsetzen kann.«
    Ich zog meinen Paß aus der Tasche und gab ihn ihm.
    »Danke«, sagte ich. »Danke von Herzen, Herr Schwarz.«
      »Da ist auch noch etwas Geld. Ich brauche nur noch wenig.«
      Schwarz sah auf die Uhr. »Wollen Sie noch etwas für mich tun? Sie wird in einer halben Stunde abgeholt. Wollen Sie mit mir kommen?«
    »Ja.«
      Schwarz zahlte die Rechnung. Wir gingen in den schreienden Morgen hinaus.
    Draußen lag das Schiff weiß und unruhig im Tejo.

    Ich stand in dem Zimmer neben Schwarz. Die zerschlagenen Spiegel hingen noch da. Sie waren jetzt leer. Die Scherben waren weggeräumt. »Hätte ich nicht die letzte Nacht bei ihr bleiben sollen?« fragte Schwarz.
    »Sie waren bei ihr.«
      Die Frau lag im Sarg wie alle Toten; mit einem unendlich abweisenden Gesicht. Nichts hier ging sie noch an - weder Schwarz, noch ich, noch sie selbst. Man konnte sich auch nicht mehr vorstellen, wie sie ausgesehen hatte. Was da lag, war eine Statue, von der nur einer noch eine Vorstellung hatte, wie sie war, als sie atmete: Schwarz. Aber Schwarz glaubte, ich habe sie jetzt auch.
    »Sie hat noch -«, sagte er, »da waren noch -«
    Er holte aus einer Schublade einige Briefe.
    »Ich habe sie nicht gelesen«, sagte er. »Nehmen Sie sie.«
    Ich nahm die Briefe und wollte sie in den Sarg legen. Dann besann ich mich - die Tote gehörte jetzt endlich Schwarz allein, glaubte er. Die Briefe von anderen hatten nichts mehr mit ihr zu tun - er wollte sie ihr nicht mitgeben, und er wollte sie auch nicht vernichten, weil sie doch zu ihr gehört hatten. »Sie sind ohne jede Bedeutung. Weniger als ein kleiner Geldschein, den man ausgibt, um einen Teller Suppe zu kaufen.«
      »Krücken«, erwiderte er. »Ich weiß es. Krücken hat sie es einmal genannt, die sie gebraucht hätte, um weiter mir treu zu bleiben. Verstehen Sie das? Es ist widersinnig -«
      »Nein«, sagte ich und dann sehr vorsichtig, mit allem Mitleid der Welt: »Warum lassen Sie sie nicht endlich in Ruhe? Sie hat Sie geliebt, und sie ist bei Ihnen geblieben, so lange sie konnte.«
    Er nickte. Er sah plötzlich sehr zerbrechlich aus.
    »Das wollte ich wissen«, murmelte er.
      Es wurde heiß in dem Raum mit dem starken Geruch, den Fliegen, den verlöschten Kerzen, der Sonne draußen und der Toten. Schwarz sah meinen Blick.
    »Eine Frau hat mir geholfen«, sagte er. »Es ist schwer in
    einem fremden Land. Der Arzt. Die Polizei. Sie wurde weggeholt. Man hat sie gestern abend wieder zurückgeschickt. Sie wurde untersucht. Die Todesursache.«
      Er sah mich hilflos an. »Man hat sie - sie ist nicht mehr ganz da -, man hat mir gesagt, ich solle sie nicht aufdecken -«

    Die Träger kamen. Der Sarg wurde geschlossen. Schwarz wankte.
    »Ich fahre mit Ihnen«, sagte ich.
    Es war nicht sehr weit. Der Morgen strahlte, und der Wind sauste wie ein Schäferhund hinter einem Zug Lämmerwolken her. Schwarz stand klein und verloren unter dem großen Himmel auf dem Friedhof.
    »Wollen Sie in Ihre Wohnung zurück?« fragte ich.
    »Nein.«
    Er hatte einen Koffer mitgenommen.
      »Wissen Sie jemand, der die Pässe korrigieren kann?« fragte ich.
    »Gregorius. Er ist seit einer Woche hier.«
      Wir gingen zu Gregorius. Er erledigte den Paß für Schwarz rasch; es war nicht nötig, sehr genau dabei zu sein. Schwarz hatte den Ausweis eines Anmeldebüros für die Fremdenlegion bei sich; er brauchte nur die Grenze zu überqueren und in der Kaserne meinen Paß wegzuwerfen. Die Legion interessierte sich nicht für die Vergangenheit.
      »Was ist aus dem Jungen geworden, den Sie mitgenommen haben?« fragte ich.
      »Der Onkel haßt ihn; aber der Junge ist glücklich, daß es wenigstens jemand aus seiner Familie ist, der ihn haßt - nicht nur Fremde.«
      Ich sah den Mann an, der jetzt meinen Namen trug. »Ich wünsche Ihnen alles Gute«, sagte ich und vermied, ihn Schwarz zu nennen. Mir fiel nichts anderes ein als diese triviale Phrase.
    »Ich werde Sie nicht wiedersehen«, erwiderte er.
      »Und das ist gut so. Ich habe Ihnen zuviel gesagt, um Sie wiedersehen zu wollen.«
    Ich war dessen nicht so sicher. Es konnte sein, daß er mich später einmal gerade deswegen hätte wiedersehen wollen. Nach seiner Vorstellung war ich der einzige, der ein unverfälschtes Bild seines Schicksals mit sich nahm. Aber vielleicht hätte er mich auch gerade

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