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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Bruder nicht fernhalten kann. Weil ich -‹ Ich schwieg. Die gerade vergangenen Minuten waren plötzlich sehr weit weg. ›Was tun wir hier?‹ sagte ich. ›In diesem Zimmer?‹
      Wir gingen die Treppe hinauf. ›Alles was Georg gesagt hat, ist wahr‹, sagte ich. ›Du mußt das wissen! Wenn ein Krieg kommt, sind wir Angehörige eines feindlichen Landes, du noch mehr als ich.‹
      Helen öffnete die Fenster und die Tür. ›Es riecht nach Soldatenstiefeln und Terror‹, sagte sie. ›Laß den August herein! Wir wollen die Fenster offenlassen und weggehen. Ist es Zeit zum Mittagessen?‹
    ›Ja. Und es ist Zeit, Paris zu verlassene Warum?‹
    ›Georg wird versuchen, mich anzuzeigen.‹
      ›So weit denkt er nicht. Er weiß nicht, daß du hier unter einem anderen Namen lebst.‹
    ›Es wird ihm einfallen. Und er wird wiederkommen.‹
      ›Das mag sein. Ich werde ihn raus werfen. Laß uns auf die Straße gehen.‹

    Wir gingen zu einem kleinen Restaurant hinter dem Palais de Justice und aßen an einem Tisch auf dem Trottoir. Es gab Pate maison, Bœuf à la mode, Salat und Camembert. Dazu tranken wir einen offenen Vouvray und hinterher Kaffee. Ich erinnere mich an alles das genau, sogar an das goldkrustige Brot und die angestoßenen Kaffeetassen; ich war an diesem Mittag erschöpft von einer tiefen, anonymen Dankbarkeit. Mir schien, ich wäre aus einem dunklen, schmutzigen Kanal entkommen, in den ich nicht zurückzuschauen wagte, weil auch ich ein Teil dieses Schmutzes gewesen war, ohne es vorher gewußt zu haben. Ich war entkommen und saß nun an einem Tisch mit einem rot und weiß gewürfelten Tischtuch und fühlte mich gereinigt und gerettet, die Sonne warf gelbe Reflexe durch den Wein, Spatzen lärmten über einem Haufen Pferdemist, die Katze des Wirtes schaute ihnen satt und uninteressiert zu, ein leichter Wind wehte über den stillen Platz, und das Dasein war wieder so gut, wie es nur in unseren Wünschen ist.
      Später gingen wir durch den honigfarbenen Sommernachmittag von Paris und blieben vor dem Fenster einer kleinen Couturière stehen. Wir hatten schon öfter davorgestanden. ›Du solltest ein neues Kleid haben‹, sagte ich.
      ›Jetzt noch?‹ fragte Helen. ›So kurz vor dem Kriege? Ist das nicht extravagant?‹
    ›Gerade jetzt noch. Und gerade, weil es extravagant ist.‹
    Sie küßte mich. ›Gut!‹
      Ich saß ruhig in einem Sessel neben der Tür zum Hinterzimmer, in dem probiert wurde. Die Couturière brachte die Kleider heran, und Helen war bald so interessiert, daß sie mich fast vergaß. Ich hörte die Stimmen der Frauen hin- und hergehen und sah die Kleider im Türausschnitt vorüberwehen und ab und zu Helens nackten braunen Rücken, und eine sanfte Müdigkeit, die etwas von schmerzlosem Sterben ohne den Begriff des Sterbens hatte, hüllte mich ein.
    Ich wußte, etwas beschämt, warum ich das Kleid hatte kaufen wollen. Es war eine Auflehnung gegen den Tag, gegen Georg, gegen meine Hilflosigkeit - ein kindischer, ferner Versuch einer noch kindischeren Rechtfertigung.
      Ich erwachte, als Helen plötzlich vor mir stand, in einem sehr weiten, bunten Rock mit einem schwarzen, kurzen und enganliegenden Sweater. ›Genau richtig!‹ erklärte ich. ›Das nehmen wir.‹
    ›Es ist sehr teuer‹, sagte Helen.
    Die Couturière versicherte, es sei das Modell eines großen Hauses - eine charmante Lüge -, aber wir wurden einig und nahmen das Kleid gleich mit. Es war gut, etwas zu kaufen, was man sich nicht leisten konnte, dachte ich. Der damit verbundene Leichtsinn verscheuchte den letzten Schatten Georgs. Helen trug das Kleid am Abend und auch in der Nacht, als wir noch einmal aufstanden und im Fenster lehnten, um auf die Stadt im Mondlicht zu schauen - unersättlich, immer wieder, geizend mit dem Schlaf, wissend, daß es nur noch für kurze Zeit war.«

    11

    »Was bleibt?« sagte Schwarz. »Schon jetzt läuft es zusammen wie ein Hemd, aus dem die Stärke gewaschen worden ist. Die Perspektive der Zeit ist bereits nicht mehr da; was eine Landschaft war, ist nun ein flaches Bild geworden, auf das wechselnde Lichter fallen. Es ist nicht einmal mehr ein Bild - es ist fließende Erinnerung, aus der sich lose Bilder heben - das Fenster des Hotels, eine nackte Schulter, geflüsterte Worte, geisterhaft weiterlebend, das Licht über den grünen Dächern, der nächtliche Geruch des Wassers, der Mond auf dem grauen Stein der Kathedrale, das hingegebene Gesicht, und wieder ein anderes in der

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