Die Nacht von Shyness
Leute gefragt. Du bist ja ziemlich auffällig. Das war nicht so schwer.«
»Bist du aus der Bar rausgeflogen?«
»Nein. Wir haben so getan, als ob es ein Versehen gewesen wär. Der Tisch war nicht mal kaputt.«
Glück gehabt. Ich hab dagegengetreten, als wollte ich ihn ans andere Ende des Raums schießen.
Wildgirl kommt nicht näher. Ich hab ihr Angst eingejagt. Wenn ich so bin, mache ich mir selber Angst.
»Ist Ortolan wütend?«
»Nein. Sie macht sich nur Sorgen um dich. Sie hat mir gesagt, ich soll dich suchen.«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Der Abend droht ein Reinfall zu werden. Ich will nicht, dass Wildgirl nach Hause geht, aber verdenken könnte ich es ihr nicht. Ich müsste sie bitten hierzubleiben, aber das bringe ich nicht über mich. Erst ausrasten und dann zu Kreuze kriechen hat keinen Zweck. Ich schätze sie nicht so ein, dass das bei ihr ankommen würde.
»Es ist kein Problem für mich, dass du ausgeflippt bist. Du brauchst mir nichts zu erklären. Ich will nur wissen, dass … es dir gut geht. Das Risiko geh ich ein. Genau wie du mit mir.«
»Ich bin nicht gefährlich. Ich töte keine Katzen zum Spaß, falls du das wissen willst. Ich beiße auch keine Menschen.«
Wildgirls Miene entspannt sich ein wenig. »Höchstens wenn sie dich ganz lieb bitten, oder?«
Ich runzele die Stirn. Immer ist sie mir einen halben Schritt voraus. Ich weiß nicht, wie sie nach allem, was passiert ist, mit mir Witze reißen kann. Außerdem glaubeich ihr nicht, dass sie nicht wissen will, wieso ich ausgeflippt bin. Vielleicht hat Ortolan es ihr auch schon erklärt. Ich schlucke. Ich will über diesen Kram nicht reden, ich will nicht mal daran denken.
»Wir hatten einen schlechten Start«, sage ich. Ich schiebe das Gefühl beiseite, dass es einfacher wäre, sie nach Hause zu schicken.
»Ich will immer noch, dass du mich in Shyness rumführst.«
Wildgirl kommt näher und setzt sich zu mir, die rote Tasche neben sich. Sie öffnet die Hand, um mir etwas zu zeigen. Eine Kreditkarte. Ich nehme sie, um sie genauer zu betrachten.
»Davon wollte ich dir gerade erzählen, als Ortolan aufgetaucht ist. Ich hab sie im Raven’s Wing auf der Toilette gefunden.«
So eine Karte hab ich noch nie gesehen, und von der FutureBank hab ich auch noch nie gehört. Ich hab schon eine ganze Weile keine Kreditkarte mehr zu Gesicht bekommen. Ich zahle mit Bargeld und werde bar bezahlt, wie die meisten Einheimischen. In Shyness gibt es keine einzige Bankfiliale mehr.
»Was sagst du dazu?« Wildgirl klingt aufgeregt.
»Zukunftsbank, ha. Ich würd sagen, wenn wir auf die Zukunft bauen, sind wir am Arsch.«
Wildgirl lächelt. Ihre Zähne sind klein und gleichmäßig wie Tic Tacs. »Das war ein guter Witz, Wolfie. Wenn du nicht aufpasst, komme ich noch auf die Idee, du besäßest Humor. Ich meinte natürlich, ob du glaubst, dass sie funktioniert. Können wir sie benutzen?«
»Ich glaube schon.« Ich drehe die Karte um. Ich sehekeinen Grund, weshalb sie nicht funktionieren sollte. »Es ist dir nicht in den Sinn gekommen, sie in der Bar abzugeben?«
»Hast du dich noch nie gefragt, was du mit einer Million Dollar anfangen würdest?«
Ich versuche nicht zu viel über Geld nachzudenken, wenn es sich vermeiden lässt. Ich verdiene ein bisschen mit dem Mischen anderer Bands, und nach und nach hab ich die besten Möbel aus meinem Haus verkauft. Wenn ich drüben in Panwood zur Bank gehe – was ich nur mache, wenn es gar nicht mehr anders geht –, dann weiß ich, dass irgendwer, vermutlich Mum, mein Konto aufgestockt hat.
»Eigentlich nicht.«
»Ich schon. Ich denke viel darüber nach.« Wildgirl glüht förmlich vor Aufregung. »Manchmal fange ich mit zehntausend Dollar an und dann arbeite ich mich zu einer Million hoch.«
»Ich glaub kaum, dass auf diesem Konto eine Million ist. Vielleicht ist die Inhaberin der Karte pleite, und deshalb hat sie das Ding rumliegen lassen.«
»Trotzdem sollten wir sie ausprobieren.«
Ich zucke die Achseln. Auf der Karte steht sowieso kein Name, wir können also kaum herausfinden, wem sie gehört. »Dann unterschreib mal lieber.«
Wildgirl kramt einen Stift aus ihrer unergründlichen Handtasche und benutzt meinen Rücken als Unterlage, um die Karte zu unterschreiben. Ich versuche das zarte Gefühl ihrer Haare in meinem Nacken zu ignorieren. Sie hat keine Angst mehr vor mir. Als sie fertig ist, hockt sie sich vor mich hin. »Eins muss ich dich nochfragen, bevor es weitergeht.« Sie wird rot. »Hast
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