Die Nacht von Sinos
Wrack zu arbeiten.
Ich wußte sofort, daß etwas nicht stimmte. War das ein sechster Sinn, oder hatte ich damit gerechnet? Ich schob Sarah beiseite und übernahm das Ruder. »Das Boot da drüben gehört dem Türken, der mich letzte Nacht gerettet hat.« »Taucht er nach Schwämmen?«
»Diesmal nicht. Fünfundvierzig Meter tief liegt ein Wrack, an dem er arbeitet. Viel zu tief und viel zu riskant mit seiner Ausrüstung. Ich habe ihn gewarnt, aber er wollte nicht hören.«
»Ist das deine Schuld?« fragte sie. »Ich versteh' nicht viel vom Tauchen, aber das scheint mir ziemlich tief zu sein.«
Ich drosselte die Maschinen der ›Gentle Jane‹ und ließ sie gegen die Steuerbord-Reling der ›Seytan‹ gleiten. Yassi hatte zwei alte Autoreifen als Fender ausgelegt und packte die Leine, die Sarah ihm zuwarf. Man konnte ihm schon von weitem die nackte Angst ansehen. Abu drehte sich am Kompressor um. Tränen liefen ihm übers Gesicht.
»Bitte, bitte, Mr. Savage, helfen Sie meinem Vater. Da unten ist was Schlimmes passiert.«
Ich wandte mich an Yassi. »Wie lange?«
»Eine halbe Stunde, vielleicht fünfundvierzig Minuten. Erst ging alles glatt, aber gerade vorhin hat er dreimal ›vier‹ signalisiert.«
Wenn ein Taucher viermal rasch an der Leine reißt und das Zeichen dreimal wiederholt, dann bedeutet das höchste Alarmstufe.
»Und was geschah dann?«
»Wir haben versucht, ihn heraufzuholen, aber die Leine rührt sich nicht. Seitdem kommen keine Zeichen mehr.«
Abu zupfte mich am Ärmel. »Sie werden doch gleich tauchen, Mr. Savage? Sie werden ihn heraufholen?«
Schön und gut, nur war mein Atemgerät fast leer.
»Was wirst du machen?« fragte Sarah.
»Ich hab' keine andere Wahl, ich muß tauchen.«
Sie runzelte die Stirn. »Aber du hast doch gesagt, daß die Aqualunge fast leer ist.«
Ich verzichtete auf jede weitere Widerrede, kletterte einfach hinüber auf die ›Gentle Jane‹ und schlüpfte in mein Tauchgerät. Keine Zeit, einen Naßtauchanzug anzuziehen.
Drüben redete Sarah in schnellem, fließendem Griechisch auf Yassi ein. Als ich wieder hinüberstieg, vertrat er mir den Weg und stemmte mir die Hand vor die Brust. »Nein, Mr. Savage, so nicht, das will mein Vater nicht.«
Ich schob ihn zur Seite und ließ mich ins Wasser fallen. Dann tauchte ich rasch entlang der Rettungsleine hinunter in die grüne Tiefe.
Ein stählerner Mast kam mir aus dem Halbdunkel entgegen. Ich schwebte über dem Wrack. Auf den ersten Blick sah ich, daß hier etwas anders war: Die alte Flugabwehrkanone vom Vorderdeck fehlte.
Ich fand sie, als ich der Leine ein Stück weiter folgte. Etwa fünfzig Tonnen Alteisen hingen über die Steuerbordreling, und darunter verschwanden Luftschlauch und Rettungsleine.
Irgend etwas veranlaßte mich, auf der anderen Seite des alten Dings nachzuschauen. Dort fand ich Ciasim flach auf dem Rücken liegend, von seinen verhedderten Leitungen und Leinen an den Boden geheftet. Er konnte sich nicht mehr helfen.
Es war ein Wunder, daß der Luftschlauch nicht gerissen war.
Aber lange hielt er es nicht mehr aus. Eisenstücke schwebten wie im Zeitlupentempo neben mir zu Boden. Ich preßte meine Maske gegen sein Gesichtsfenster, und er lächelte tatsächlich. Ich mußte ihm wie ein Retter in höchster Not erscheinen, aber er wußte ja auch nichts von meinem Sauerstoffmangel.
Plötzlich verschwamm sein Gesicht vor meinen Augen, mein Mund wurde trocken, mein Herz klopfte. Ich war schon zu lange hier untengeblieben und stieg rasch auf. Ich schaffte es knapp. Es war allerhöchste Zeit, als ich neben der Leiter der ›Seytan‹ an die Oberfläche kam. Ich spuckte das Gummistück aus und pumpte meine Lungen voll frische Seeluft.
Yassi und Abu holten mich an Bord. Ich streifte die Aqualunge ab und setzte mich aufs Deck. Sarah kniete schon neben mir.
»Du siehst schrecklich aus, was ist denn geschehen?«
»Ich glaube, die letzten fünfzehn Meter waren meine Flaschen leer.« Ich wandte mich an Yassi. »Er lebt noch, aber nicht mehr lange. Ungefähr das halbe Schiff muß auf seine Leine und den Luftschlauch gefallen sein.«
Angeblich ertragen Moslems solche Dinge in stoischer Ruhe und überlassen alles Allah, aber wenn man weiß, daß der eigene Vater Zoll um Zoll stirbt, dann ist das doch eine andere Sache.
Abu fiel auf die Knie, faltete die Hände und schrie mich hysterisch auf Türkisch an. Ich brauchte keine Übersetzung, um zu wissen, was er sagte.
»Können wir irgendwoher Hilfe bekommen?«
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