Die Nacht von Sinos
plötzlich, daß ihm die Geschichte Spaß machte. Auf der nächsten Treppe begann er sogar leise zu pfeifen. Pavlos Zimmer lag am äußersten Ende des Korridors im dritten Stock. Wir blieben vor der Pendeltür stehen und sahen hindurch, bevor wir weitergingen. Alles war ruhig und verlassen. Genau das hatte ich erhofft, denn nach unseren Informationen hielt sich Pavlos Wächter bei ihm im Zimmer auf.
Der letzte Wachwechsel war um zehn Uhr gewesen, der nächste würde erst um sechs Uhr morgens sein. Also eine lange Zeit, ehe man ihn vermissen würde.
Wir hatten alles ein dutzendmal genau durchgesprochen. Die Sache sah ganz einfach aus. Ich klopfte an die Tür. Ciasim zückte sein Messer, hielt es stoßbereit in der linken Hand und stellte sich flach an die Wand. Ich hörte, wie ein Stuhl gerückt wurde, dann Schritte. Die kleine Klappe in Augenhöhe wurde zurückgeschoben. Im entscheidenden Augenblick gähnte ich und hielt mir die Hand vors Gesicht. Das Guckfenster wurde wieder geschlossen, ein Riegel zurückgeschoben, und die Tür ging auf. Ein junger Wächter mit offenem Kragen und ohne seinen Gürtel stand im Türrahmen.
»Was soll das?« fragte er.
Eine Zehntelsekunde später zog er sich wieder ins Zimmer zurück. Die Spitze von Ciasims Messer kitzelte ihn genau unter dem Kinn. Ich stieß die Tür hinter mir ins Schloß und hatte schon eine Schnur zum Fesseln in der Hand. Ciasim zog sein Messer zurück, da machte der junge Mann den Mund auf, als wollte er einen Schrei ausstoßen. In der gleichen Sekunde landete Ciasims Faust in seiner Magengrube. Er ging zu Boden. Ciasim fing die Schnur auf, die ich ihm zuwarf, und band ihm die Hände hinter den Rücken.
Andreas Pavlo sah in Wirklichkeit jünger aus als auf dem Foto. Er saß in dem schmalen Bett, ein Kissen hinter den Rücken gestopft. Sein rechter Arm steckte vom Ellbogen bis an die Finger in einem Gipsverband. Er sah sehr blaß und mitgenommen aus. Außerdem war er im Augenblick verständlicherweise äußerst nervös.
»Keine Sorge«, sagte ich, »wir stehen auf Ihrer Seite. Wir wollen Sie herausholen.«
»Wer hat Sie geschickt?« fragte er.
»Ein gewisser Dimitri Aleko.«
»Der Reeder Aleko? Der Millionär?« fragte er entgeistert. »Das glaube ich nicht. Warum soll der sich um mich kümmern?«
»Anscheinend unterstützt er Ihre verrückte Organisation.«
»Hören Sie, ich weiß gar nicht, was das ...« begann er.
»Sie werden schon alles begreifen, sobald die Sicherheitspolizei Sie sich vornimmt. Die haben ihre eigenen Methoden, alles aus Ihnen herauszuquetschen.«
»Was zum Beispiel?«
»Zum Beispiel die genaue Absturzstelle der Piper Aztec vor Kreta. Die Namen auf der Liste in der Aktentasche, die an Apostolides' Handgelenk gekettet ist.«
Plötzlich sah er mich verzweifelt an. »Hören Sie, ich weiß nicht, wer Sie sind, aber mir geht's nicht sehr gut. Meine Lunge hat bei dem Absturz ein Loch bekommen. Wenn man mich in die Zange nimmt, werde ich nicht lange durchhalten.«
»Wir können Sie herausholen«, sagte ich, »aber es wird schwierig. Wollen Sie es trotzdem versuchen?«
Er nickte eifrig. »Alles ist noch besser als ein Verhör.«
Ich wandte mich an Ciasim. »Zieh ihm die Stiefel und den Mantel des Wächters an. Da unten wird's kalt.«
Er setzte sich auf die Bettkante und ließ sich von Ciasim die Stiefel zuschnüren. Sie waren zu groß, mußten aber gehen. Dann stand er auf und zog den schweren Militärmantel über. Ich wußte, daß es Ärger geben würde. Er schwankte hin und her und konnte sich kaum auf den Beinen halten.
Der Junge war wirklich schwer krank. Ich hätte ihn am liebsten aufgefordert hierzubleiben, aber dieser Ausbruchsversuch war vermutlich seine einzige Überlebenschance.
»Sie wollen es also wirklich wagen?« fragte ich.
Er nickte ungeduldig. »Holt mich nur hier 'raus. Lieber sterbe ich, als daß ich in die Hände der Sicherheitspolizei falle. Die haben letztes Jahr meinen Bruder umgebracht.«
Er trat auf den Korridor hinaus und stützte sich schwer auf Ciasim. Ich schloß die Tür und ging dann voraus. Als ich die Pendeltür zur Treppe aufstieß, kam mir ein Wächter entgegen.
Alles andere ging blitzschnell. Er blieb ein paar Stufen weiter unten stehen, sah mich neugierig an und erblickte Ciasim mit Pavlo in dem Militärmantel. Offenbar erkannte er ihn sofort.
Er öffnete schon die Klappe seiner Pistolentasche, da traf ihn meine Stiefelspitze unterm Kinn. Er flog die Treppe hinunter und blieb auf dem
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