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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Fliegerjacke zu. Noch einmal schaut er zum Meer, das wie ein fernes Leuchten aus dem Ende der Nacht zu steigen scheint, zu den ersten rosafarbenen Streifen, die die aufgehende Sonne ankündigen. Er will zum Hangar gehen, als er noch einmal vor Giovanni stehen bleibt.
    Schweigend sehen sie sich an. Dann streckt ihm Vieri die Hand entgegen, und Giovanni ergreift sie mit den seinen. Es tue ihm Leid, sagt er und sieht zu Boden, während er Vieris behandschuhte Hand drückt. "Ja, ich weiß", antwortet er. Ein Gewehrschuss ertönt, dann ein zweiter, eine ganze Salve hallt über den Vorplatz und verliert sich zwischen den Holzbaracken der Unterkünfte. Beide lauschen ihr nach. Aber es bleibt still. "Falscher Alarm", sagt Giovanni, "wahrscheinlich." Er versucht zu lächeln. Vieri antwortet nicht. "Ich gehe allein", sagt er. Giovanni zögert, dann nickt er.
    Er geht ohne Eile. Fast scheint es, als genieße er diese Minuten der Ruhe, der inneren Sammlung. Wie so oft zuvor untersucht er das kurze Stück Rasen, nimmt einen trockenen Ast und wirft ihn weg, einen Stein, tritt mit dem Stiefel einen frischen Maulwurfhügel glatt. Die großen Hangartore sind bereits geöffnet. Gelbes Licht fällt hinaus in den aufziehenden Morgen. Er nickt seinem Mechaniker zu, der fröstelnd neben der Albatros steht. Einen Augenblick lang ruht sein Blick auf dem weißen Flugzeug. Dann öffnet Vieri die seitliche Eisentür und geht zu seinem Spind. Er nimmt seine Fliegerkappe, die Brille, die Papiere und Karten, die er heute nicht brauchen wird. Er greift tief ins oberste Fach hinein, findet noch ein paar Briefe, Fotos, eine alte Eisenbahnfahrkarte. Er nimmt alles an sich. Die Spindtür lässt er offen. Er macht sich auf den Weg in die Halle.
    Noch im Gang, unter der Gaslampe, bleibt er stehen und schaut sich die Fotografien an. Eine ist das Hochzeitsbild seiner Eltern, die andere zeigt ihn selbst, ernst und stolz am Tag seiner Ankunft. Wie jung wir alle waren, denkt er, unbegreiflich jung. Er steckt die Fotografien in die Innentasche seiner Fliegerjacke und geht hinein.
    Die Albatros steht schon im offenen Tor, und der Wind, der mit dem Morgen an Kraft gewonnen hat und in die Halle drückt, zerrt an ihre Aufbauten. Wie ein Pferd, denkt Vieri, ungeduldig und nervös wie ein Rennpferd und genauso verletzlich.
    Sein Mechaniker hat sich zu ihm gesellt. Schweigend betrachten sie das Flugzeug. Ohne ein Wort treten sie dann gemeinsam vor die Halle. Wie jeden Morgen schauen sie zum Meer hinaus, zu den wenigen Wolken am Himmel, zum Windsack, der sich neben dem Flugfeld hebt und senkt, zappelt wie ein gefangener Fisch.
    „Es frischt auf“, sagt der Mechaniker. „Vielleicht kehrt der Sturm zurück.“
    Vieri nickt. „Vielleicht.“
    Er sieht zur Sonne, die jetzt eine Handbreit über dem Meer steht. Mit jedem Zentimeter, den sie höher steigt, kehren die Farben zurück, scheinen sie in die Dinge zurückzuströmen, färbt sich das Flugfeld mit dem bräunlichen Grün des Tages, das Meer türkis, der Himmel rosarot wie die fernen Berge. „Vielleicht wird es schön“, sagt Vieri. Und später: „Ist die Albatros startklar?“ Noch immer sind seine Augen auf die Sonne gerichtet, auf das Meer, das sich in ihrem Licht auszubreiten, den Horizont immer höher in den Himmel zurückzudrängen scheint.
    „Jawohl, signor capitano , alle Schäden sind behoben.”
    Vieri geht um das Flugzeug herum. Es ist breiter als lang, und scheint nur aus dünnen Hölzern, aus Klavierdraht und Leinwand zu bestehen. Ein kunstvolles Nichts aus Stielen und Zeilen, aus Verspannungen und Holmen, in denen der Wind pfeift. Es ist neu und kaum geflogen, erst zwei Mal war er mit ihm draußen auf dem Meer. Wie schon am Abend zuvor fragt er sich, warum sie es ihm geben. Liegt es an der fehlenden Bewaffnung? Daran, dass sie nicht wollen, dass es den anderen in die Hände fällt? Sein Blick fällt auf die lange Reihe der Benzinkanister, die gleich hinter dem Tor stehen. Wahrscheinlich hätten sie es ohnehin verbrannt, verbrannt wie den Rest der Staffel.
    Er geht wieder hinaus auf den Vorplatz. Giovanni steht noch immer vor der Baracke. Unbeweglich schaut er zu ihm herüber. Es ist der gleiche Blick wie am Vortag, der gleiche Blick, mit dem ihn die anderen angeschaut haben, die Freunde, Francesco, Ruggiero, Ferruccio, Marziale.
    Es war eine seltsame Kommission, die zusammengetreten war. Es war die seltsamste Sitzung, an der Vieri jemals teilgenommen hatte.
    Die Freunde mit den enttäuschten

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