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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Unfertiges vorzustellen.
    Josef Lindemann fuhr sich durch den rötlichen Bart. Er blickte in Richtung der offenbar immer noch streitenden Russen, doch glaubte Maximilian, dass er mehr Augen für Germaine hatte als für die ungleichen Brüder.
    „Eine interessante Frau“, bemerkte er deshalb, um das Gespräch wieder aufzunehmen.
    „Wer, Germaine?“ Josef sah auf. Er schien in Gedanken weit weg gewesen zu sein, und Maximilian war sich nicht mehr sicher, ob sein Blick tatsächlich der Französin gegolten hatte. „Ja, sie hat Esprit.“ Er schenkte sich Wein nach und trank einen Schluck. Er hatte dunkle Ringe um die tief sitzenden Augen, und seine durchsichtigen Hände zitterten ein wenig, als er das Glas zum Mund führte. „Ich würde sie natürlich beide nehmen. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich wohl dennoch Lidia vorziehen. Ich liebe Italien.“ Schon seine Großmutter, die Mutter seines Vaters, sei Italienerin gewesen, und so habe auch er italienisches Blut in den Adern. „Wenig, gewiss“ - er fuhr sich verlegen lächelnd durch das rötliche Haar - „Kelten, Normannen, Buren. Viele haben ihren Teil dazu beigetragen. Und doch, Max, glauben Sie mir“ - er klopfte sich ein paar Mal an die Brust - „meinem Herzen hier steht dieses Land näher als jedes andere.“ Das Vaterland natürlich ausgenommen, aber das sei selbstverständlich.
    Maximilian, der sich an den morgendlichen Grenzübertritt erinnerte, an das mit Vertrautheit gepaarte Gefühl des Willkommenseins, nickte und schwieg.
    „Aber das ist alles graue Theorie...“ Josefs Stimme klang müde, fast traurig. Er sprach langsam, als müsse er lange über jedes Wort nachdenken. „Sie sind zwar erst heute angekommen, aber zweifellos werden auch Sie bemerkt haben, dass die Rollen bereits verteilt sind.“ Als wolle sie seine Worte Lügen strafen, lächelte Germaine just in diesem Augenblick spitzbübisch zu ihnen herüber. Er winkte matt zurück. „Ja, Germaine, du Göttin der Verführung, streife auch mich mit dem Atem der Liebe, berühre meine verlorene Seele...“ Sein Lachen ging in ein langanhaltendes Husten über. „Verzeihen Sie.“
    Maximilian, der nicht wusste, was er von diesem seltsamen Ausbruch halten sollte, fragte verlegen, ob noch andere Gäste erwartet würden.
    „Kann schon sein, den einen oder den anderen vielleicht.“ Er hob die Hand und starrte darauf, als zähle er angestrengt seine Finger. Dann sah er Maximilian direkt ins Gesicht, und sein Ausdruck verwandelte sich. Fast belustigt sagte er: „Aber ich weiß nicht, ob Männlein oder Weiblein, wenn es das ist, was Sie interessiert.“
    Kühl bemerkte Maximilian, dass er verlobt sei und im Herbst zu heiraten gedenke.
    Der andere ging nicht weiter darauf ein. Er war wieder ernst geworden und hatte sich von ihm abgewandt. „Laura.“ Mehrmals nickte er vor sich hin. “ Das ist wirklich ein verdammt hübsches Mädchen.”
    Maximilian, der nicht wusste, von wem die Rede war, fragte, ob sie eine Bekannte oder Freundin in Deutschland sei.
    „Sie haben Laura noch nicht gesehen?“ Josef Lindemann lachte laut auf. Seine Stimmungen schienen so wechselhaft wie Aprilwetter. „Sonntag, natürlich! Sie hat heute ihren freien Tag.“ Trocken stellte er fest: „Laura, ist die Tochter des Wirts.“ Und dann schlug er ihm fast fröhlich auf die Schulter und setzte hinzu: „Gehen Sie schnell schlafen! Genießen Sie diese letzte Nacht des Friedens und der Ruhe! Wer weiß, ob sie das noch können, wenn Sie Laura erst einmal gesehen haben.“
     

2. Kapitel
     
    Laura war das Zweitjüngste von fünf Geschwistern. Sie war siebzehn, fast achtzehn, und auf der Kommode in ihrer kleinen Mansarde stand ein abgegriffener Holzrahmen mit einer Fotografie. Sie zeigte einen jungen Mann in Uniform, einen ernst schauenden Mann mit dunklem kurzgeschnittenem Haar, dichten schwarzen Augenbrauen und einem dünnen Schnurrbart. Seine Haut war gleichfalls dunkel, aber das konnte auch am Foto liegen, das einem lodernden Feuer entrissen schien, so vergilbt, rußig fast war das Papier. Er trug eine italienische Fliegeruniform, und seine Augen – weit geöffnet, erstaunt oder ängstlich – waren auf einen Punkt irgendwo über der Kamera  gerichtet oder einfach in die Ferne.
    Das Foto zeigte den zwanzigjährigen Vieri Tarabella, und Laura erinnerte sich an die Aufregung, mit der der älteste Bruder erwartet wurde, an den Stolz der Mutter, wenn sie ihn in die Arme schloss, an die Tränen nach den

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