Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
anderer Amerikaner. Damit das alles endlich vorbei wäre.“
8 . Kapitel
Gina Manconi war Schneiderin gewesen. Unbestritten die schönste Frau von Monteforte. Und wenn sie mit dem offenen schwarzen Haar unter ihrem Hütchen durch die Straßen ging, mit kurzen Trippelschritten über das Pflaster zu schweben schien, dann starrten ihr die jungen Männer nach, als hätten sie in Ginas Augen ihre ungeborenen Kinder gesehen. Geister, die Geister blieben, denn sie pflegte die ausgehungerten Blicke nicht zu erwidern, sah weg oder zu Boden, lächelnd zwar und nicht schüchtern, und doch schien sie für niemanden zu haben zu sein. Außerdem hätte sie sich niemals vorstellen können, dem Drängen eines Bürgerlichen oder gar Faschisten nachzugeben. Sie stand politisch links, und da sie in Monteforte lebte, war sie Anarchistin. Noch lange nach dem Marsch auf Rom pflegte sie mit einer roten Nelke am Kragen ihrer Sonntagsbluse auf die Straße zu gehen.
Als Schneiderin liebte sie Brautkleider. Und als Stefano sie eines Tages fragte, warum sie sich nicht selbst ein Hochzeitskleid schneiderte, antwortete sie nicht. Es war der Heiratsantrag eines schüchternen Mannes, eines Mannes, der nie um sie geworben, ihr niemals ein Kompliment gemacht hatte, eines Mannes, den sie immer nur verstohlen zu ihrem kleinen Laden blickend über den Platz hatte gehen sehen. Doch zeigte der Umstand, dass sie ihn nicht sofort zurückwies, dass sie Gefallen an ihm gefunden hatte, sie es sich zu überlegen gedachte.
Sie sollten erst Jahre später nach seiner Rückkehr aus dem französischen Exil heiraten. Inzwischen verbrachte er jede freie Minute in ihrer Werkstatt in der Piazza Mazzini, saß auf einem der niederen Schneiderstühle, die ihm seine langen Beine in den Magen drückten, und sah ihren Fingern zu, ihren Händen, die über die Stoffe strichen, die Nadel führten oder die klappernde Maschine bedienten. Meistens schwiegen sie. Manchmal sah sie auf und lächelte.
Noch Jahre später, als sie ihn schon längst in Nizza wusste, ging ihr Blick manchmal zu der Standuhr mit dem goldenen Pendel, und wenn seine übliche Zeit gekommen war, begann ihr Herz zu hämmern, und sie verdrehte sich den Hals, um durch das Schaufenster hinaus auf die Straße zu sehen, in der vergeblichen Hoffnung, er käme doch noch, wie so oft davor, mit einem Buch unterm Arm vom Ufer der Magra herüber.
Nach der Flugblattaktion im Hafen von Carrara war Stefano nicht in die Berge gegangen. Er hatte den Weg genommen, den viele, Flüchtlinge oder lediglich Arbeitslose, an der Küste gegangen waren. Mit einem der Kähne, die den Marmor nach Südfrankreich schafften, von wo er in die ganze Welt verschifft wurde, erreichte auch Ginas Verlobter jene andere Küste. Und während in Aigues-Mortes, in der Camargue, die italienischen Salinenarbeiter von den Einheimischen zu Dutzenden erschlagen wurden, weil sie ihnen die Arbeit wegnahmen, verkehrte er, Dank einer kleinen monatlichen Unterstützung, die ihm Piero und Maria zukommen ließen, in den Lokalen der Rue Droite in Nizza, wo sich jene trafen, die schon lange und vergebens auf das Ende der faschistischen Herrschaft in Italien warteten.
Gleich am Eingang der Bars und Restaurants hingen Bilder von König Vittorio Emmanuele III und Mussolini. Sie waren groß und waren dort angebracht, wo man sie kaum verfehlen konnte, spuckte man dagegen, wie es allgemeine Sitte war, wenn man kam oder ging.
In diesen Etablissements konnte man den Eindruck gewinnen, die Tage des Regimes seien gezählt, und doch drehte sich die Welt der Emigranten nur um sich selbst, sah man von den faschistischen Spitzeln ab, die in denselben Lokalen ein- und ausgingen und allerlei, meist wertlose Informationen über geplante Anschläge oder Mitglieder des Widerstandes sammelten.
In Nizza verbrachte Stefano drei Jahre. Tagsüber betrank er sich in den Bars, nachts starrte er ins Dunkel und dachte an Gina. Als man ihm mitteilte, über die Flugblattaktion sei Gras gewachsen, er werde nicht mehr offiziell gesucht, ging er zum Hafen und schiffte sich nach Carrara ein.
An diese lange und traurige Zeit musste Stefano denken, während er wieder zu sich kam. Er lag in einem richtigen Bett. Saubere Laken umgaben ihn, sein Kopf versank in einem weichen Kissen. Er verscheuchte die düsteren Gedanken, schloss seufzend noch einmal die Augen, um den Geruch der Wäsche tief einzuatmen, die Sauberkeit und Frische, die der Stoff verströmte.
„Mamma, er wird wach“,
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