Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Noch einmal seufzte sie, legte den Kopf zurück, und er schob sich auf sie, während seine andere Hand nach ihrem Nacken griff.
Sie liebten sich die ganze Nacht, und wenn der Mond ein Stück weiter gewandert war dem Meer entgegen, redeten sie miteinander, redeten mehr miteinander in dieser Nacht als in all den Monaten davor, und es war, als müssten sie die achtzehn Jahre füllen, die zwischen dem Jetzt und dem Damals lagen, diese achtzehn Jahre und die Zeit davor und jene noch, die kommen sollte.
„Ich muss jetzt gehen“, sagte sie irgendwann. Der Himmel über den Bergen begann grau zu werden. Die ersten Vögel waren erwacht. „Es darf mich niemand sehen. Sie würden denken, ich sei eine Verräterin.“
„Du bist eine Verräterin.“ Er küsste sie auf den Mund.
„Ja, ich bin eine Verräterin“, antwortete sie.
Wenn es etwas gab, was ihn zurückbrachte, dann war es diese Nacht. Mehr als die Erschießung der beiden Patrioten, der er beigewohnt hatte, mehr als das hilflose Jammern und Flehen der zwanzig Geiseln in Annunziata, mehr als all das Grauen der letzten Monate hatten ihn diese wenigen Stunden mit Laura aufgerüttelt. Und vielleicht hatte sie Recht, wenn sie ihm vorwarf, er sei tot oder abgestumpft, denn zum ersten Mal seit Jahren konnte er wieder riechen .
Als habe er sich daran gewöhnt, die Welt nur aus der Ferne zu sehen, meinte er plötzlich, mitten drin zu stehen. Er roch die Seife auf ihrer Haut, den Veilchenduft, der sich damit vermischte, den schweren Duft ihres Geschlechts, roch die klammen Bettlaken und den feuchten Mörtel der Wände und auch die Mahlzeit des Vortages, die noch im Raum stand. Selbst die kalte Asche des seit Wochen erloschenen Ofens roch er. Tausend Gerüche füllten den Raum, drangen ungestüm auf ihn ein, als wollten sie ihn daran erinnern, dass er noch lebte, dass er wiedergeboren war, dass er die endlose Weite zwischen sich und dem Leben überbrückt hatte, zurückgekehrt war in eine zerbrechliche Welt.
Seltsam, wie sehr man etwas vermissen kann, wenn man es wiedergefunden hat, dachte er, während er in ihre Augen blickte. Und der Schmerz, den man erst spürt, wenn es vorbei ist.
„Wir haben einen Sohn“, sagte sie. „Du weißt, wie gern ich mit dir schlafe, und doch ist es nur ein Spiel. Es ist nichts im Vergleich mit unserem Kind. Kannst du das verstehen?“
Er dachte an den jungen Mann mit dem verschlossenen Blick, an den Posten vor dem Militärgericht, der ihm trotz aller Feindseligkeit so vertraut gewesen war. Was konnte es bedeuten, einen erwachsenen Sohn zu haben? Ihn so plötzlich und unerwartet vor sich stehen zu sehen? Keine Schwangerschaft, die er miterlebt hätte, keine Geburt, keine Windeln, die er hätte wechseln können und keine schlaflosen Nächte, keine ersten Worte, die er ihm hätte beibringen können, und alles andere bis hin zur Schulzeit, zur Pubertät, zur ersten Liebe. Nichts von alledem. Ein ganzes Leben hatte sich zu jener einen Sekunde verdichtet, in der er ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Er versuchte diesem Gefühl nachzuspüren, dem Staunen, das ihn erfüllte, und der Trauer angesichts des Unwiederbringlichen.
„Ich glaube, er hasst mich. Er hasst mich, obwohl er nicht weiß, dass ich sein Vater bin. Und er würde mich noch mehr hassen, wüsste er es.“
„Vielleicht.“ Sie streichelte seinen Kopf, sein kurzes, lichter werdendes Haar. „Und es tut mir genauso weh wie dir.“ Jetzt lag er auf dem Rücken, und sie sah zu ihm hinunter. „Aber was ich meine, hat nichts damit zu tun. Es geht um dich – und um uns.“ Sie schwieg, und er dachte nach. „Weißt du, ich habe tausend Mal versucht, dich zu vergessen. Manchmal dachte ich, es sei mir gelungen. Und doch...“ Sie lächelte. „Wie oft habe ich nachts an seinem Bettchen gestanden, um seinen Schlaf zu beobachten? Wie oft habe ich dich, statt ihn gesehen?“ Wieder schwieg sie lange. Er hatte die Augen geschlossen und hörte auf ihren Atem, der langsam und gleichmäßig ging. „Du weißt, dass ich dich liebe, aber das bedeutet nichts, allein deswegen wäre ich nicht hier.“
„Als die beiden jungen Männer“, er stockte, „erschossen wurden, da hatte ich für einen Moment furchtbare Angst, er könnte dabei sein. Bei denen, die schießen, oder bei jenen, die sterben. Ich weiß nicht, ob es leichter ist, zum Opfer oder zum Täter zu werden, aber es geht beides furchtbar schnell in diesen Zeiten.“
„Er ist in die Berge gegangen.“
Seitdem er wusste, dass er einen
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