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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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sich auf dem Weg zu einem der Bergdörfer, wo ein anderer Franco oder Paolo oder Enzo sich den blutenden Bauch hielt. Einigen konnte sie helfen, viele starben ihr unter den Händen weg.
    Am Tag als Vittoria seine Wunde zum ersten Mal versorgte, war auch Lewis, der englische Hauptmann, zugegen. Von Rossano herunter war es nicht weit, und da ihm der ehemalige Politische Kommissar der Weißen sympathisch war, sollte er Stefano in den Wochen der Genesung immer wieder einen Besuch abstatten. Dann brachte er echten Tee mit – sie waren endlich mit Nachschub versorgt worden – den Rita mit tausend Ausrufen des Entzückens aufbrühte und den sie gemeinsam still und in kleinen Schlucken genossen. Manchmal spielten sie Dame, häufiger besprachen sie die strategische Lage, die sich fast täglich änderte. Stefano, der seit dem Tod von tenente Roberto niemanden mehr hatte, mit dem er in der Beurteilung der Situation so weit übereinstimmte, freute sich stets auf die Nachmittage, auf die ruhige und förmliche Art des Engländers. So anders als seine Landsleute, mochten es Bergbauern oder zu ihnen gestoßene Städter sein, die sich ungefragt duzten und auch sonst einen eher persönlichen Umgang miteinander pflegten, genoss er dessen distanzierte Haltung, die gleichwohl Wertschätzung und Mitgefühl ausdrückte und auf ihn sogar aufrichtiger wirkte.
    Schon bald nach Vittorias Ankunft brach Lewis auf. Er schüttelte beiden die Hand, verbeugte sich tief und ging in Begleitung eines Griechen, der vor dem Haus Posten bezogen hatte.
    Die Schwester nahm ihm den schmutzigen Verband ab. Die Kugel hatte die Schulter glatt durchschlagen. Die Wunde hatte dunkelrote, fast schwarze Ränder und nässte, schien aber kaum mehr zu eitern. Vittoria trug die Salbe auf, die sie mitgebracht hatte und legte eine frische Binde an. Sie schwiegen, bis sie ihre Arbeit beendet hatte.
    „Ich habe Vieri gesehen. Er ist erwachsen geworden.“ Aus einer Karaffe goss sie Wasser in ein Glas.
    „Er kämpft wie ein Mann...“ Stefano stockte und lächelte verlegen. „Entschuldige.“
    Sie betrachtete ihn lange, den Bart, der sich an den Wangen grau zu färben begann, die Stirn, die sich weit hinaufzog und in eine große kahle Stelle überging. Je älter er wurde, desto mehr ähnelte er Piero, dem Vater. Er war größer und muskulöser, und ihm fehlte die weiche Gutmütigkeit, die den anderen stets ein wenig verlegen erscheinen ließ, und doch hatten sie die gleichen graugrünen Augen, den gleichen stets halbgeöffneten Mund. Dann sah sie auf ihre Hände. „Pass auf ihn auf“, sagte sie.
    „Er hat mir das Leben gerettet.“
    Es war ein lichtdurchfluteter Frühlingsnachmittag. Durch das weit geöffnete Fenster fiel heiß die Sonne und ließ die Fliegen wie übergroße Staubkörner in ihrem Strahl tanzen.
    „Wie geht es Mamma?“ fragte er.
    „Seitdem alle Ärzte im Krieg sind, gibt es wieder Arbeit für sie. Aber es kommen wenig Kinder zur Welt in diesen Zeiten. Und wenn sie kommen, dann muss man sie mit Gewalt holen. Mit Gewalt oder mit guten Worten.“ Sie füllte das Glas nach. „Misstrauisch beäugt werden sie, von den Großvätern und von den Onkeln und von den Großmüttern, deren Lippen sich lautlos bewegen, wenn sie die Monate und Wochen zurückrechnen.“ Sie stand auf und ging zum Fenster. Ein Luftzug hob ihr Haar und ließ es rötlich aufleuchten.
    „Und Piero?“
    Lange sah sie hinaus, dann drehte sie sich um. „Er besucht mich oft – und Laura. Manchmal glaube ich, dass ihm der Krieg am meisten zu schaffen macht. Er ist zu alt zum arbeiten, und er ist zu alt zum kämpfen.“
    „Viele alte Männer kämpfen.“
    Sie schüttelte den Kopf. „Nein, du kennst ihn, wenn er etwas nicht richtig machen kann, dann macht er es gar nicht.“ Sie kam zurück und setzte sich wieder auf den Stuhl neben seinem Bett. „Er ist den ganzen Tag unterwegs, wandert kreuz und quer durch die Berge, abends muss er dann Laura bei dem Deutschen abholen und nach Hause bringen...“
    Er griff nach ihrer Hand. „Was willst du damit sagen?“
    „Nichts, ich habe schon zuviel gesagt.“ Sie machte sich los. „Du hättest sie niemals hinschicken dürfen. Du kennst meine Meinung. Aber du hast uns schon immer gern herumkommandiert, uns alle...“
    „Lass uns nicht wieder damit anfangen.“
    „Ja, lass uns streiten, wenn du wieder gesund bist.“ Sie lächelte. „Franco wartet unten an der Brücke auf mich. Schone dich. Ich komme bald wieder.“ Sie ging.
    Mit dem

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