Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Sohn hatte, war ihm seine Arbeit noch schwerer gefallen. Hatte er sich schon vorher den Einheimischen nahe gefühlt, war es ihm jetzt oft unmöglich geworden, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Eines Tages, vielleicht schon bald nach diesem Krieg, würden sie sich näher kommen. Bis dahin musste ihm genügen, dass es ihn irgendwo dort draußen gab.
Irgendwann erzählte sie ihm die Geschichte mit dem Pendel. Beide mussten sie lachen.
„Anne und ich haben nie Kinder gewollt, oder es hat sich nicht ergeben, ich weiß es nicht.“ Er dachte an die ersten Jahre zurück, an die Sommersprossen auf Annes Bauch.
„Warum habt ihr euch scheiden lassen?“
„Sie war Jüdin.“ Dann verbesserte er sich. „Ich spreche von ihr, als sei sie tot. Dabei ist sie nur sehr weit weg. Sie ist in Amerika. In New York oder in Connecticut, glaube ich, bei einer Tante jedenfalls...“
„In Amerika...“
„Ja, ihr Vater musste den Verlag aufgeben, so sind die Gesetze. Und da lag es nahe, dass ich das Geschäft übernehme. Mit dem Geld haben sie dann ihre Flucht bezahlt, damit und mit ihren Ersparnissen. Jemand hat sie abgeholt und über die Grenze gebracht. Es ist ihnen nichts geblieben als ihr Leben.“ Sogar den Namenszug an der Hausfassade hatte er abschlagen lassen müssen.
„Wie geht es ihr in Amerika?“
„Ich weiß es nicht. Es ist seltsam, aber sie hat nie geschrieben.“
„Sie zensieren die Post... Sie fangen die Briefe ab...“
„Ja...“
Später fragte sie: „Schreibst du noch Gedichte?“
„Schon seit vielen Jahren nicht mehr.“
„Schreibst du eines für mich?“
Sein Kopf lag in ihrem Schoß. Tief sog er den Duft ihrer Haut in sich ein. „Ich würde sehr gerne ein Gedicht für dich schreiben.“
Erst am Morgen, die Sperrstunde war schon abgelaufen und Laura kurz davor, aufzubrechen, kamen sie auf den lange zurückliegenden Sommer zu sprechen und die damaligen Freunde. „Hast du jemals wieder von einem von ihnen gehört?“ fragte er sie.
„Matteo sehe ich oft. Er wohnt wieder in Pietrasanta. Seine Hand ist unter einen Marmorblock geraten. Zum Glück die linke. Aber er ist immerhin freigestellt. Er bewacht irgendein ausrangiertes Sägewerk. Wir grüßen uns, wechseln hin und wieder ein paar Worte, na ja, es ist ja schon so lange her.“ Sie seufzte. „Der junge Giacometti war noch zwei, drei Mal in Portoclemente, aber nicht bei uns. Sie sind im Grand Hotel abgestiegen. Da hieß es schon Grande Albergo“ - sie lachte - „Italienisch eben. Er war viel dicker und ein bisschen grau und in Begleitung einer sehr schönen Frau. Auch seine Schwester war einmal dabei – wie hieß sie doch gleich? Lidia? – genauso bleich und genauso unnahbar wie früher. Sie soll das Klavierspielen aufgegeben haben. Ein Jammer.“
„Ich habe Josef Lindemann in Berlin getroffen. Er war sehr krank.“
„Vielleicht ist er tot. Bei Vittoria hat er sich jedenfalls nie wieder gemeldet, aber das besagt ja nichts, wie du weißt.“ Sie kicherte leise, und Maximilian schwieg. „Ja, Scott. Den hätte ich am liebsten wiedergesehen.“ Sie zog die Decke ein wenig höher. So früh am Morgen war es frisch. „Manchmal stelle ich mir vor, wie er auf einem Panzer in Carrara einfährt. Mit einer seiner dicken Zigarren im Mund und statt einer Maschinenpistole einen Block in der Hand. Und wenn er an mir vorbeikommt, strahlt er mich an und ruft: ‚Ich schreibe gerade den großen Kriegsroman!’, und dabei klopft er mit der Zigarre aufs Papier, dass ihm die Asche in den Schoß fällt.“
Beide dachten sie zurück. „Bist du jemals wieder Wasserski gefahren?“
Langsam schüttelte er den Kopf.
„Du wirst es nicht glauben, aber bis vor ein paar Jahren konntest du jeden Tag jemanden dort draußen auf dem Meer sehen. Reiche Schnösel mit ihren Motorbooten zumeist, aber es gab immer den einen oder anderen, der Papá von jener ersten Fahrt erzählt hat, als wäre er persönlich dabei gewesen.“
„Ja, ich würde wer weiß was geben, um noch einmal zu fahren.“ Für einen Moment dachte er daran, ein Wasserflugzeug anzufordern. „Ich habe mich oft gefragt, ob du mit mir geschlafen hättest, wenn ich an diesem Tag nicht gefahren wäre.“
„Dummkopf!“
„Frauen lieben Helden...“
„Ihr wart alle Helden. Du, Matteo, Scott natürlich...“ Es entstand eine lange Pause. „Du weißt gar nicht, wie sehr ich mir wünsche, er käme tatsächlich“, sagte sie, „ob auf einem Panzer oder in einem Boot. Er oder irgendein
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