Die Nacht zum Dreizehnten
Yvonne Bergmann waren ins Hotel zurückgekehrt. Sie saßen noch im Zimmer des Professors zusammen. Yvonne hielt seine Hand. Sie stellte fest, daß ihn der Ausflug nach Paris verjüngt hatte. »Du siehst glücklich aus?«
»Ich bin es auch! Ich glaube, ich habe dir nie erzählt, daß ich mit Alexis Quenstadt hier, als wir noch Studenten waren, einige Zeit gelebt habe. Wir waren damals beide jung. Das Leben lag vor uns. Wenn man überlegt, welche Pläne man damals geschmiedet hat – und was daraus geworden ist …« Bergmann seufzte.
»Bist du denn so vom Leben enttäuscht?«
Er schüttelte lachend seinen Kopf. »Natürlich nicht! Wie könnte ich es auch sein, da ich doch dich geheiratet habe. Aber nein –, ich wollte damit nur sagen, daß die Pläne, die man als junger Mensch schmiedet, zwar schillernd und glänzend sind, aber sie zerplatzen später im Leben, wie es Seifenblasen tun, wenn man sie zu stark aufbläst. Nein –«, er streichelte Yvonnes Hand, »es ist alles anders gekommen, als ich es geglaubt habe, aber es ist halt anders schön geworden.«
Er lehnte sich in seinen Sessel. »Auch der gute Alexis Quenstadt! Er hätte niemals geglaubt, daß er je eine Tochter haben würde. Er wollte nie heiraten. Er wollte unabhängig bleiben. Aber dann kam eben alles anders.«
»Seine Tochter ist nicht verheiratet?«
»Nein.« Robert Bergmann beugte sich vor. »Sie ist nicht verheiratet, obgleich sie wirklich sehr hübsch ist. Sie hat einmal als Studentin eine große Enttäuschung erlitten. Weißt du, daß sie einen unehelichen Sohn hat?«
Yvonne nickte. »David heißt er, nicht wahr?«
»Ganz recht! Sie bekam ihn nach ihrem Staatsexamen. Ihr Vater hatte ihr zuvor eine Traumreise an die Côte d'Azur geschenkt. Nun ja, der südliche Himmel –, die romantischen Nächte taten wohl das ihrige. Als sie vom Urlaub zurückkam, wurde später der Sohn geboren. Alexis war damals sehr unglücklich. Er wollte den Namen des Vaters wissen, aber Ariane hat ihn nie verraten. Keiner weiß, was damals in dem Herzen des Mädchens vorging. Sie behauptete jedenfalls steif und fest, sie sei froh, daß sie ein Kind habe und daß kein Mann dazu gehöre. Sie wollte den Jungen für sich allein haben, und sie hat ihn auch allein ganz phantastisch aufgezogen. Vielleicht hätte sie niemals das in ihrem Leben erreicht, was sie erreicht hat, wenn sie verheiratet gewesen wäre. Dann wäre sie sicherlich eine Hausfrau geworden, hätte vielleicht ihren Beruf aufgegeben oder noch mehr Kinder bekommen. So aber setzte sie ihren ganzen Ehrgeiz in ihren Beruf und hat doch in verhältnismäßig jungen Jahren eine Stellung in der Medizin erreicht, wie sie so leicht kein Mann in ihrem Alter erreicht. Wenn man von Professor Dr. Ariane Quenstadt spricht, dann tut man es mit jener Hochachtung, wie man sie eigentlich nur alten Professoren zuteil werden läßt.«
Er lachte plötzlich unvermittelt auf.
Yvonne schaute ihn beunruhigt an. »Was ist los? Was amüsiert dich so?«
Bergmann zog ein Taschentuch hervor und wischte sich die Tränen ab. »Ich möchte nur die Gesichter meiner Assistenten sehen, wenn diese junge Professorin dort auftaucht. Das hat niemand erwartet! Ich habe sie alle in dem Glauben gelassen, daß es sich um den alten Professor Quenstadt handelt. Und den kennen die meisten von irgendwelchen Kongressen her, auf denen er immer das große Wort zu führen pflegt.«
»Das amüsiert dich also! Aber nun –«, sie schaute auf die Uhr, »glaube ich, daß es wirklich Zeit wird, schlafen zu gehen. Die Reise und die ersten Pariser Stunden haben dich angestrengt …«
»Angestrengt!« Professor Bergmann lachte. »Das ganze Gegenteil haben sie bewirkt! Ich fühle mich munterer und frischer denn je! Ich könnte heute noch die ganze Nacht aufbleiben und durch Paris bummeln.« Als ihn Yvonne erschrocken anschaute, griff er nach ihrer Hand. »Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Ich gehe jetzt wirklich schlafen. Ach Gott –«, er seufzte, »die meisten Menschen vergessen, daß man im Alter weniger Schlaf braucht als in der Jugend. Wir alten Menschen kommen mit fünf bis sechs Stunden aus, wohingegen ein junger Mensch eben acht Stunden benötigt. Aber trotzdem – dir zu Gefallen!« Er stand auf und begleitete Yvonne zur Tür. Lachend öffnete er sie. »Die Leute wundern sich immer, wenn man als Ehepaar zwei Zimmer nimmt. Aber ich glaube, man schläft dann wirklich besser.«
»Ich schlafe besser«, korrigierte ihn Yvonne. »Denn du
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