Die Nacht zum Dreizehnten
Verbandstisch und legte sie auf die Wunde.
Immer wieder brodelte es aus dem Innern, stiegen Blasen auf, wie man sie aus einem Krater aufsteigen sieht, der mit kochender Lava gefüllt ist.
»Hat sich Oberarzt Wagner immer noch nicht gemeldet?« Nervös sah Heidmann den alten Chiron an, der in das Zimmer getreten war.
»Noch nicht! Ich habe gerade noch einmal in der Zentrale nachgefragt.«
»Wir müssen den Patienten sofort in den OP bringen.« Schwester Ariane klebte eine Mull-Lage über die Operationswunde am Hals.
»Was soll denn nun noch gemacht werden?« fragte kopfschüttelnd Dr. Heidmann.
»Ich glaube –«, sie drückte noch einmal auf den Leib, »daß auch eine Darmverletzung vorliegt. Wir müssen nachsehen.«
»Ohne die Genehmigung des Oberarztes?«
»Darauf können Sie nicht warten! Sie wollen doch nicht zum Mörder an diesem Mann werden? Das hier habe ich ja nun begradigt, aber nun müssen Sie den Bauch öffnen. Wahrscheinlich ist etwas geplatzt – die Leber – die Milz – vielleicht auch ein Darm? Die Bauchdeckenspannung …«, sie versuchte noch einmal, den Leib einzudrücken, aber es gelang ihr nicht, »ist so stark, daß sie trotz der Bewußtlosigkeit besteht. Das deutet mit Sicherheit daraufhin, daß im Leib irgend etwas passiert ist.«
»Wir können auf jeden Fall den Patienten in den OP schaffen lassen«, schlug Dr. Phisto vor, als Heidmann ratlos dastand und anscheinend nicht wußte, was er antworten sollte.
»Inzwischen wird sich ja Oberarzt Wagner gemeldet haben.«
»Das ist ein guter Gedanke. Schaffen Sie den Patienten nach oben«, bat er Chiron.
»Gut, ich habe Schwester Euphrosine auf jeden Fall benachrichtigt. Ich konnte mir denken, daß der Patient noch in den OP muß. Fassen Sie mal mit an«, forderte er Schwester Ariane auf.
Einen Augenblick lang sah es aus, als ob sie die Aufforderung ablehnen wollte. Aber dann half sie dem Pfleger doch, den Patienten vom Untersuchungstisch auf die fahrbare Trage zu heben, die Chiron direkt neben den Tisch gestellt hatte. Sie packte die Holme an, und zusammen mit Chiron fuhr sie den Patienten aus dem Aufnahmeraum auf den Korridor.
»Mein Gott – die hat aber Temperament!« Dr. Phisto schnalzte mit der Zunge. »Wenn die kommandiert, gehorcht jeder!«
»Sie haben recht. Ich wollte mich ein paarmal ihren Anordnungen widersetzen, weil ich mir wie ein dummer Junge vorkam. Aber ich muß sagen, daß alles, was sie bisher angeordnet hat, vollkommen richtig war. Ich weiß nicht, ob wir den Patienten ohne sie so gut hingekriegt hätten …«
»Wir hätten es bestimmt nicht! Es ist doch manchmal wirklich komisch –«, er griff nach der Türklinke und trat mit Heidmann auf den Flur hinaus, »daß manche Schwestern oft viel besser sind als die Ärzte, die ihre Vorgesetzten sind. Bei Schwester Ariane könnte man wirklich meinen, daß sie Medizin studiert hat.«
Dr. Heidmann machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn das Pflegepersonal einigermaßen intelligent ist und genau aufpaßt, was die Ärzte machen, dann bleibt es ja nicht aus, daß sie sich ein gutes Wissen aneignen. Schließlich müssen wir Chirurgen ja auch handwerklich alles lernen. Gerade in unserem Beruf muß man viel sehen. Wem das glückt, der ist halt ein viel besserer Chirurg als ein anderer, der sich nur gelegentlich einmal um solche Eingriffe kümmert.«
»Ich verstehe nur eines nicht!« Phisto stieg neben Heidmann die Treppe empor, die zum OP führte.
»Und das wäre?«
»Wie eine Frau hübsch und dabei trotzdem so intelligent sein kann!«
Sie hatten die Operationsabteilung erreicht. Schwester Euphrosine kam ihnen maulend entgegen. »Was soll denn gemacht werden?«
»Eine Probatoria!« ertönte Schwester Arianes Stimme von der Tür her.
»Ist Oberarzt Wagner inzwischen eingetroffen und hat das angeordnet?« fragte die alte OP-Schwester.
Assistenzarzt Dr. Heidmann betrachtete ratlos Schwester Ariane. »Er ist noch nicht eingetroffen. Er hat es auch nicht angeordnet, aber …«
»Herr Dr. Heidmann hält es für notwendig, daß nachgesehen wird, auch wenn Oberarzt Wagner noch nicht da ist«, führte Schwester Ariane den Satz energisch zu Ende.
*
»Die Polizei hat inzwischen festgestellt, um wen es sich handelt.« Chiron war in den Waschraum getreten, wo Dr. Heidmann, Dr. Phisto und Schwester Ariane saßen und sich vor den Waschbecken wuschen. Heidmann hatte Ariane gebeten, bei dem Eingriff zu assistieren. »Es ist ja sonst niemand da«, hatte er erklärt.
Weitere Kostenlose Bücher