Die Nacht zum Dreizehnten
»Allein kann ich nicht operieren. Und Sie scheinen ja doch eine große Erfahrung zu haben. Am liebsten würde ich Sie bitten, den Eingriff zu übernehmen.« Dann wandte er sich Chiron zu.
»Was hat denn die Polizei herausgebracht?« Er warf die Bürste, mit der er sich die Hände gereinigt hatte, in ein Gefäß mit einer desinfizierenden Flüssigkeit. Dann stand er auf, ging zu einem Wandspender, drückte auf einen Fußhebel und hielt seine Hände unter das Gefäß, aus dem eine weiße Krem floß. Er rieb sich sorgfältig die Hände damit ein.
»Es handelt sich um«, der alte Chiron setzte seine Brille auf und las von einem Zettel, den er in der Hand hielt, vor: »den sechsunddreißigjährigen Pferdepfleger und Chauffeur Harald Streiber.«
»Es ist hier alles fertig«, ertönte Schwester Euphrosines Stimme aus dem OP.
»Ich werde schon hingehen und den Bauch abdecken.« Die neue Schwester verließ den Waschraum und begab sich hinüber. Heidmann blickte durch das Fenster, das zum OP ging. Er nickte Ariane zu, die an den Operationstisch getreten war und den Leib des Patienten mit einer goldgelben Flüssigkeit einstrich. Er ging zur Tür und rief ihr zu: »Legen Sie auch schon die Tücher über!«
Er kehrte in den Waschraum zurück. Dann fragte er Chiron: »Ist noch mehr über diesen Herrn Streiber bekannt?«
»Ja.« Chiron dämpfte seine Stimme. Er sprach plötzlich ganz leise, als fürchte er, jemand könne mithören: »Er ist bei Dietmar Bursoni angestellt.«
»Bei Dietmar Bursoni?« Schwester Euphrosine war interessiert näher getreten. »Über den habe ich in letzter Zeit viel gelesen. Wo war das bloß?« Sie dachte nach. »In irgendeiner Frauenzeitung. Da stand, daß er eigene Reitpferde unterhalte, zu seinen Konzerten in einem Privatflugzeug fliege und ansonsten einen rasanten Porsche führe. Er sieht außerdem noch gut aus …«
Dr. Heidmann mußte lachen. »Er gefällt Ihnen also! Lassen Sie das bloß nicht Dr. Bruckner hören!«
»Warum sollte er mir nicht gefallen? Er ist wirklich ein gutaussehender Mann. Sie sollten ihn sich mal ansehen, wenn er im Fernsehen auftritt.«
»Dann schaltet wahrscheinlich der ganze weibliche Teil der Fernsehzuschauer den Kanal ein, in dem ihr Bursoni erscheint.«
Eine Schwester sagte in der Tür: »Sie können kommen. Schwester Ariane hat gesagt, daß alles soweit vorbereitet sei.«
Johann Heidmann zog sich einen sterilen Kittel über. Er verließ den Waschraum und betrat den OP.
»Ich habe die Abdecktücher auf der Haut angeklebt«, berichtete Schwester Ariane.
»Das ist ein sehr guter Gedanke! Dann können sie wenigstens während des Eingriffes nicht verrutschen. Ich muß ehrlich sagen, mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken, daß ich nun einfach operieren soll!« Durch seine Stimme klang hörbar Angst. »Ist immer noch keine Nachricht von Oberarzt Wagner da?« wandte er sich an Chiron.
»Nein, der scheint uns vergessen zu haben.«
»Das verstehe ich einfach nicht!« Heidmann schlüpfte in die Gummihandschuhe, die ihm Schwester Euphrosine hinhielt. »Er mag zwar ein Ekel sein, aber er ist doch ein zuverlässiges Ekel. Irgendwas ist dazwischengekommen. Er wird doch hoffentlich nicht verunglückt sein?«
Dr. Phisto hatte den Narkoseapparat herbeigezogen. Er deckte die schwarze Maske auf das Gesicht des Patienten und drehte an verschiedenen Hähnen, bis die richtige Menge Narkosegas in die Atemmaske strömte.
»Ich werde ihm vorläufig nur einen leichten Rausch verpassen«, erklärte er. »Der Mann ist sowieso noch bewußtlos.«
»Sie meinen wirklich, daß ich den Bauch eröffnen soll?« Immer noch unschlüssig schaute Heidmann die Schwester an.
»Ich meine es wirklich! Es ist im allgemeinen besser, man schaut einmal nach, wenn man eine innere Verletzung vermutet, und irrt sich, als daß man im umgekehrten Falle irrt: Man schaut nicht nach, und es ist eine Verletzung vorhanden.«
»Alsdann …« Dr. Heidmann senkte das Skalpell auf die Haut. Noch einmal schaute er hoch. Schwester Ariane nickte ihm aufmunternd zu:
»Ich würde eine obere Mittlere machen …«
»Das wollte ich auch.« Das Skalpell schnitt durch die Haut. Gelbes Unterhautfett kam zum Vorschein. Schwester Ariane griff nach den scharfen Haken, die ihr Schwester Euphrosine anreichte. Sie setzte die umgebogenen Zinken in die durchtrennten Hautränder ein und zog sie auseinander. »Ein bißchen tiefer müssen Sie schon gehen!« sagte sie mit einem feinen Lächeln.
V
Professor Robert und Frau
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