Die Nacht zum Dreizehnten
ihren Mann besorgt an. »Übernimmst du dich auch nicht?«
»In Köln predigst du immer, daß ich mich mehr bewegen soll; und in Paris möchtest du mich daran hindern?«
»Ich möchte dich nicht daran hindern – ich bin nur um dich besorgt.«
»Das brauchst du wirklich nicht. Ich habe mich nie so wohl gefühlt.«
Sie waren in den Boulevard Saint Michel eingebogen und gingen in Richtung der Seine.
»Als ich jünger war«, plauderte Yvonne, »wollte ich immer eine Wohnung in Paris haben – une chambre de bonne – ein Mädchenzimmer im siebenten Stockwerk. Daran habe ich meine schönsten Erinnerungen.«
»Ich fürchte, du würdest heute da nicht mehr raufklettern wollen. Soviel ich weiß, gibt es zu diesen Mädchenzimmern keine Fahrstühle.«
»Nein – heute möchte ich lieber auch ein modernes Studio haben. Vielleicht sollten wir es uns wirklich noch kaufen …«
Sie hatten das Seine-Ufer erreicht. Robert Bergmann stieg mit Yvonne die Stufen hinunter, die zum Quai führten. Er blieb stehen und schaute die Häuser an, die auf der gegenüberliegenden Seite standen.
»Was meinst du, sollen wir uns hier eine Wohnung kaufen?«
Yvonne lachte. »Wenn du willst, kannst du uns natürlich Jugendträume erfüllen. Aber du darfst nicht vergessen, daß du für das Geld, was ein solches Appartement kostet, den Rest deines Lebens im besten Hotel wohnen kannst. Du brauchst dich nicht um die Wäsche, um das Saubermachen, um die Concierge zu kümmern …«
»Vom rechnerischen Standpunkt aus hast du zweifelsohne recht, aber vom seelischen her ist es doch nicht das gleiche. Eine Wohnung gehört einem allein. Man kann kommen und gehen, wann man will …«
Yvonne zog Robert lächelnd weiter. »Komm, deine Träume sind wunderschön. Aber ich möchte wissen, ob du sie jemals realisieren würdest. Du lebst doch nun in Köln den ganzen Tag in deiner Klinik und glaubst, du darfst sie nicht verlassen. Ich möchte mal den Tag erleben, an dem du plötzlich Urlaub nimmst und – sagen wir, einfach ein Wochenende – in deine Pariser Wohnung fährst!«
Bergmann seufzte. »Du hast nicht ganz unrecht. Aber ich kann mir vorstellen, daß – sollte ich die Klinik wirklich einmal aufgeben – wir uns nach Paris zurückziehen würden. Du auch? Hier kann man auch als alter Mensch gut leben. Man kann sich in ein Bistro setzen, kann auf der Straße in einem Café sitzen und das Leben an sich vorbeiziehen lassen.«
»Ich habe das Gefühl, daß dein Arbeitsschwungrad bereits etwas langsamer läuft.«
»Du hast recht! Als ich ankam, hätte ich am liebsten noch einmal die Klinik angerufen. Aber jetzt –«, er zog seine Frau zärtlich an sich, »denke ich wohl noch daran, vielleicht einmal mit Köln zu telefonieren und mich zu erkundigen, was denn so passiert. Aber es bleibt bei dem Gedanken. Ich glaube, es fehlt mir einfach die Energie, einen Hörer in die Hand zu nehmen.«
»Und morgen und übermorgen –«, Yvonne klopfte lachend ihrem Mann auf die Schulter, »wird es wahrscheinlich schon soweit sein, daß du an die Klinik überhaupt nicht mehr denkst. Dann ist das Schwungrad endlich zum Stehen gekommen. Du hast es auch wirklich nötig, gelegentlich ein paar Ruhetage einzulegen. Vielleicht sollten wir von jetzt ab öfters nach Paris fahren …«
»Und uns zu dem Zweck doch eine Wohnung hier kaufen!«
*
Schwester Ariane hielt das Skalpell in der Hand. Sie blickte noch einmal Dr. Heidmann an: »Sie wollen wirklich nicht?«
»Nein – Sie scheinen ja da doch eine gewisse Erfahrung zu haben?«
»Ich habe lange in der Unfallstation gearbeitet. Es ist nicht das erstemal, daß ich einen solchen Verletzten versorge.«
Ein undefinierbares Lächeln lag in ihrem Gesicht, als sie nun das Messer fest in die Hand nahm und ganz oben am Brustkorb, da, wo die Schlüsselbeine vorn ansetzen, einen halbmondförmigen Schnitt legte.
»Wir müssen der Luft Gelegenheit geben, aus dem Gewebe zu entweichen, sonst schwellen die Weichteile so stark an, daß sie die großen Adern zudrücken. Aus dem Brustkorb ist die Luft ja schon weitgehend heraus.«
Sie legte das Messer beiseite und griff nach einer Mullplatte. Sie drückte diese auf den Schnitt, den sie gelegt hatte. Es blutete. Auf dem Blut bildeten sich sofort kleine Blasen, die aus der Tiefe stiegen.
»Sie sehen, wie die Luft jetzt aus dem Gewebe entweicht! Wenn wir Glück haben, sieht der Patient in zwei bis drei Tagen wieder vollkommen normal aus.« Sie nahm eine neue Mullplatte vom
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